Behandlung mit Kortison

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Hilft Kortison beim akuten Schub der MS?

Mit Hilfe einer 2002 erschienenen Übersichtsarbeit[2] von Filippini et al. wird versucht, drei wichtige Fragen zur Kortisontherapie bei MS zu beantworten:

  • Führt Kortison zu einer geringeren Beeinträchtigung nach Ende des Schubes?
  • Kommt es durch die Kortisontherapie zu einem schnelleren Abklingen des Schubes?
  • Werden durch die Kortisontherapie weitere Schübe verhindert bzw. hinausgezögert?

Seit der Studie von Beck und Kollegen[3] zur Therapie der akuten Sehnerventzündung gilt die hochdosierte intravenöse Therapie mit Methylprednisolon als Standardtherapie. Die Wirksamkeit dieser Therapieform wurde seither praktisch nicht mehr durch weitere aussagekräftige Studien überprüft. Eine mögliche alternative Form dieser Therapie ist die Gabe von hochdosiertem oral verabreichtem Kortison. Hierzu liegen zwei Studien[4][5] vor, welche vergleichbare Effekte wie bei der intravenösen Gabe zeigten.

Heute werden Patienten im akuten Schub der MS mit einer Vielzahl unterschiedlicher Kortisontherapien behandelt. Je nach Befinden des Patienten und Vorliebe des behandelnden Arztes werden sowohl unterschiedliche Medikamente, unterschiedliche Einnahmewege, als auch unterschiedliche Behandlungszeiträume gewählt. Dieses ist zum Teil auch damit zu erklären, dass der genaue Wirkmechanismus von Kortison beim akuten Schub der MS weiterhin nicht vollständig geklärt ist (siehe Hintergrund - Was ist Kortison?).

Die 2002 erschienene Übersichtsarbeit[2] von Filippini et al. fasst die Ergebnisse von sechs Studien zusammen, welche die wissenschaftlichen Qualitätskriterien erfüllt.

Führt Kortison zu einer geringeren Beeinträchtigung nach Ende des Schubes?

Die Frage, ob die Kortisontherapie zu einer geringeren Beeinträchtigung nach Ende des Schubes führt, kann wegen fehlender Studiendaten nicht beantwortet werden. Nur eine der Studien[5] hat die Studienteilnehmer über einen vergleichsweise langen Zeitraum von einem Jahr beobachtet. Das Ergebnis ist jedoch nicht aussagekräftig, da zu diesem Zeitpunkt bereits viele Patienten in beiden Gruppen der Studie neue Schübe erlitten hatten und zum Teil mit Kortison behandelt wurden. Dieses führt zu einer Verfälschung des Ergebnisses. Bei der Behandlung der akuten Sehnerventzündung (Optikusneuritis) mit Kortison konnte kein Langzeiteffekt der Therapie gezeigt werden.[6] Da es sich bei der Sehnerventzündung um eine spezielle Erkrankungsform handelt, können diese Ergebnisse allerdings höchstens Hinweise liefern.

Kommt es durch die Kortisontherapie zu einem schnelleren Abklingen des Schubes?

Die Kortisontherapie führt bei einem von vier Behandelten zu einem schnelleren Abklingen des Schubes. Die Wirksamkeit innerhalb von fünf Wochen ist dabei möglicherweise später nicht mehr nachweisbar. Es gibt Vorbehalte, welche die Aussagekraft der Studienergebnisse einschränken. Fünf der sechs Studien der Übersichtsarbeit bedienen sich der EDSS-Skala nach Kurtzke[7] zur Bewertung der Wirksamkeit der Kortisontherapie auf das Ausmaß der Beeinträchtigungen. Die Studien haben untersucht, bei wie vielen Patienten sich die Beeinträchtigungen zu einem bestimmten Zeitpunkt um mindestens einen Punkt auf der EDSS zurückgebildet haben. In fünf ausgewerteten Studien mit insgesamt 175 Patienten, die mit Kortison oder ACTH behandelt wurden, hatte sich die Beeinträchtigung bei 112 Patienten (= 64 %) nach bis zu vier Wochen um mindestens einen Punkt auf der EDSS verringert. Von den 155 Patienten, die ein Placebo erhielten, hatte sich die Beeinträchtigung bei 61 Patienten (= 39 %) um mindestens einen Punkt auf der EDSS verringert.

Würden diese Ergebnisse auf eine Gruppe von 200 Personen, von denen 100 mit Kortison und 100 mit Placebo behandelt werden übertragen werden, so würde sich die Zahl der Patienten, deren Beeinträchtigung sich um mindestens einen Punkt auf der EDSS zurückgebildet hat, wie folgt verteilen:

Schub2

Nur eine kleine Studie[8] mit 22 Teilnehmern berichtet darüber, bei wie vielen Patienten die Beeinträchtigung im Verlauf der Studie nicht ab, sondern zugenommen hat, hierüber kann also keine klare Aussage gemacht werden.

Werden durch die Kortisontherapie weitere Schübe verhindert bzw. zeitlich verzögert?

Die Kortisontherapie führt wahrscheinlich nicht zu einer Verhinderung oder einer Verzögerung neuer Schübe. Diese Feststellung bezieht sich auf kleinere Untersuchungen, deren Ergebnisse nur begrenzt aussagekräftig sind. In einer der eingeschlossenen Studien[5] der Metaanalyse wurden Kortison- und Placebogruppe nach einem halben und nach einem Jahr noch einmal untersucht. Es konnte kein signifikanter Unterschied (siehe Abschnitt Statistische Auswertung von Studiendaten) zwischen beiden Gruppen aufgezeigt werden, d.h. die Entscheidung für oder gegen eine Schubtherapie mit Kortison veränderte nicht die Wahrscheinlichkeit des Auftretens neuer Schübe.

Auch andere Studien bei MS (und Sehnerventzündung) haben keinen solchen Effekt gezeigt.[9] Einige Untersuchungen haben den Nutzen von wiederholten regelmäßigen Kortisongaben auf den weiteren Verlauf der MS untersucht. Ein Effekt in Bezug auf die Verhinderung oder Verzögerung von Schüben konnte nachgewiesen werden, die Studie zeigten aber methodische Schwächen.[10] Bei der Beurteilung der Ergebnisse der Metaanalyse ergeben sich weitere Vorbehalte durch die Tatsache, dass verschiedene Kriterien in den einzelnen einbezogenen Studien unterschiedlich umgesetzt wurden. Die in der Übersichtsarbeit zusammengefassten Studien:

  • haben zum Großteil wenige Teilnehmer untersucht.
  • haben mit verschiedenen Wirkstoffen behandelt.
  • haben verschiedene Dosierungen und Einnahmewege benutzt.
  • haben den Effekt der Behandlung zu verschiedenen Zeitpunkten gemessen.
  • haben unterschiedliche lange Zeiträume zwischen Schubbeginn und Studienbeginn festgelegt.
  • haben zur Beurteilung der Beeinträchtigungen überwiegend eine Skala (EDSS, s.o.) verwendet, welche einige Beschwerden bei MS wenig berücksichtigt.
  • haben Schübe unterschiedlich bzw. gar nicht definiert. Lesen Sie zur Metaanlyse der Kortisontherapie hier weiter...