Alemtuzumab - Häufig gestellte Fragen

Wirkt Alemtuzumab besser oder schlechter als andere MS-Medikamente?

Vergleich mit Beta-Interferonen:
Sowohl CARE-MS I[64] als auch CARE-MS II[65] geben Hinweise, dass Alemtuzumab Rebif® überlegen ist. Dies gilt v.a. für das Auftreten von Schüben und Verbesserungen im Kernspin. Bei der Basistherapie zeigte sich im Vergleich zu Rebif® keine überlegene Wirkung auf die Zunahme der Behinderung (3 von 100 mit zusätzlichem Nutzen). Bei der Eskalationstherapie war dieser Effekt mit 7 von 100 Patienten mit zusätzlichem Nutzen durch Alemtuzumab etwas deutlicher.

Vergleich mit Tysabri®, Gilenya®, anderen Beta-Interferonen, Tecfidera®, Copaxone®, Aubagio®:
Hierzu liegen keine Daten vor.


Wie lange wird behandelt?
Alemtuzumab wird normalerweise als Therapie mit 2 Zyklen über 2 Jahre verabreicht. Eine zusätzliche Gabe im dritten und vierten Jahr ist aber möglich. Nutzen und Risiko der Einnahme müssen laufend überprüft werden. Ein Abschätzen des Nutzens ist oft frühestens nach einem Jahr möglich. Als Hinweise für eine Wirksamkeit werden allgemeine Schubfreiheit und das Fehlen neuer Herde in der MRT angesehen.

Deshalb empfiehlt das KKNMS eine Ausgangs-MRT und anschließend jährlich eine MRT, um Nutzen und auch mögliche Risiken abzuschätzen.
In den Langzeitdaten zeigt sich, dass 36% der Patienten aus CARE-MS I[64] und 45% der Patienten aus CARE-MS II nach der zweiten Behandlung noch weitere Alemtuzumab-Gaben oder auch andere Immuntherapien erhielten, meist weil Schübe auftraten.

Schwangerschaft und Stillzeit
Alemtuzumab sollte in Schwangerschaft und Stillzeit nicht verabreicht werden. Frauen, die eine Schwangerschaft planen, sollten möglichst die 2. Behandlungsphase beendet haben und danach eine Wartezeit von 4 Monaten nach der letzten Infusion einhalten. Eine Schilddrüsenerkrankung stellt in der Schwangerschaft ein besonderes Risiko dar. Deshalb muss die Schilddrüsenfunktion bei Alemtuzumab-Patienteninnen, die schwanger werden, genau verfolgt werden.

Diese Empfehlungen sind als Vorsichtsmaßnahme zu werten, eine schädigende Wirkung auf den Embryo ist bislang nicht bekannt. Bis April 2017 sind 248 Schwangerschaften und 147 Geburten berichtet worden, die im Mittel 3 Jahre nach der Einnahme von Alemtuzumab auftraten. Bei keinem Kind wurden Missbildungen berichtet. Die Fehlgeburtsrate entsprach der Normalbevölkerung. Eine Schwangerschaft sollte während der Gabe von Alemtuzumab möglichst nicht auftreten, erscheint jedoch 4 Monate danach unproblematisch.

Wahrscheinlich geht Alemtuzumab in die Muttermilch über und sollte in der Stillzeit deshalb nicht gegeben werden.

Impfungen
Bisher sind keine negativen Effekte auf Impferfolge bekannt. Genauere Daten liegen jedoch nicht vor. Sogenannte Lebendimpfstoffe, bei denen lebendige, aber unschädlich gemachte Erreger verwendet werden, müs­sen möglichst vermieden werden. Alemtuzumab­-Patienten haben mögli­cherweise keine ausreichende Abwehr und könnten durch die eigentlich harmlosen Impferreger krank werden.


Was ergab die Studie CARE-MS I[64]?

Wirkung und Nebenwirkungen von Alemtuzumab als Therapie für Patienten ohne Vorbehandlung:

In CARE-MS I wurden 581 Patienten mit schubförmiger MS ohne bisherige Immuntherapie über 2 Jahre behandelt. Die Patienten hatten eine mittlere Krankheitsdauer von 2 Jahren und im Mittel 1,8 Krankheitsschübe im Jahr vor Beginn der Therapie. An der Studie teilnehmen konnten Patienten mit mindestens einem Krankheitsschub im Jahr vor der Studie und mindestens 2 Krankheitsschüben in den letzten 2 Jahren. Die Behandlung mit Alemtuzumab zeigte einen signifikanten Effekt auf die Häufigkeit von Schüben verglichen mit Interferon-beta 1a. Weiterhin wurde auch die Zunahme der Behinderung durch eine Alemtuzumab-Therapie – im Vergleich zur Interferon-beta 1a-Therapie – aufgehalten.

Wirkung auf die Schubfreiheit
Im Verlauf der 2-jährigen CARE-MS I-Studie erlitten 41% der Patienten in der Interferon-beta 1a-Gruppe und 22% der Patienten in der Alemtuzumab-Gruppe Krankheitsschübe. Zur Veranschaulichung werden die prozentualen Ergebnisse im Folgenden auf je 100 Patienten bezogen.

Absoluter Nutzen: Der tatsächliche Therapieeffekt zeigt sich, wenn man die Anzahl der Patienten mit Schüben bei Alemtuzumab-Gabe (22) von denen mit Schüben bei Interferon-beta 1a-Gabe (41) abzieht. Tatsächlich profitieren 41 - 22, also 19 von 100 Patienten von der Therapie. Das entspricht dem absoluten Nutzen (oder auch der absoluten Risikoreduktion).

Relativer Nutzen: Man kann die Wirkung aber auch nur bezogen auf die Patienten mit Schüben darstellen. In der Interferon-beta 1a-Gruppe haben 41 Patienten einen Schub, in der Alemtuzumab-Gruppe sind es nur 22, also 19 weniger. 19 von 41 sind in Prozent umgerechnet 46%. Das entspricht dem relativen Nutzen (oder auch der relativen Risikoreduktion).

Wirkung auf die Anzahl der Schübe pro Jahr

Die jährliche Schubrate zeigt, wie viele Schübe durchschnittlich pro Jahr pro Patient auftraten. Sie lag bei Interferon-beta 1a-Gabe bei 0,39 Schüben gegenüber 0,18 bei Behandlung mit Alemtuzumab. Damit ist die relative Risikoreduktion der Schubrate 55% (0,18 / 0,39 = 55%). Etwas verständlicher ausgedrückt: Die Patienten in der Alemtuzumab-Gruppe haben im Durchschnitt nur alle 5 Jahre einen Schub, die Patienten in der Interferon-beta 1a-Gruppe alle 2,5 Jahre.

Wirkung auf die Behinderung
Die Zunahme der Behinderung wurde in den Zulassungsstudien mit Hilfe des EDSS gemessen, einer Behinderungsskala von 0 bis 10 (wobei 0 keiner Behinderung entspricht). Zur Veranschaulichung werden die prozentualen Ergebnisse auf je 100 Patienten bezogen. Dabei ist wichtig zu beachten, dass der Effekt klein war und statistisch nicht signifikant. 

Absoluter Nutzen: Der tatsächliche Therapieeffekt zeigt sich, wenn man die Anzahl der Patienten mit einer Behinderungszunahme bei Alemtuzumab-Gabe (8) von denen bei Interferon-beta 1a-Gabe (11) abzieht. Tatsächlich profitieren 11 - 8, also 3 von 100 Patienten von der Therapie. Das entspricht dem absoluten Nutzen (oder auch der absoluten Risikoreduktion). Dieser Effekt war statistisch nicht sicher.

Relativer Nutzen: Man kann die Wirkung aber auch nur bezogen auf die Patienten mit einer Zunahme der Behinderung darstellen. In der Interferon-beta 1a-Gruppe haben 11 Patienten eine Zunahme der Behinderung, in der Alemtuzumab-Gruppe sind es nur 8, also 3 weniger. 3 von 11 sind in Prozent umgerechnet 27%. Das entspricht dem relativen Nutzen (oder auch der relativen Risikoreduktion). Dieser Effekt war statistisch nicht sicher.

Der EDSS-Wert nahm bei Alemtuzumab wie auch bei Interferon-beta 1a über den Verlauf der CARE-MS I Studie um 0,14 Punkte ab.

Langzeitdaten
Die Patienten, die in der 2-jährigen CARE-MS I-Studie teilgenommen hatten, konnten an einer Verlängerungsstudie teilnehmen, um die langfristigen Therapieeffekte und Nebenwirkungen zu ermitteln. 95,1% der Patienten der CARE-MS I Studie begannen mit der Verlängerungsstudie. 67,3% dieser Patienten haben außer den beiden initialen Behandlungsphasen zu Beginn der Studie im Verlauf von 5 Jahren keine weiteren Behandlungsphasen mit Alemtuzumab oder Therapien mit anderen Präparaten erhalten. 82% der Patienten wiesen über 5 Jahre einen stabilen oder verbesserten EDSS auf, bei 17,8% verschlechterte sich der EDSS.

Wirkung auf die MRT in zwei Jahren
Bei Interferon-beta 1a waren 42%, bei Alemtuzumab 52% der Patienten über die Studiendauer frei von neuen oder vergrößerten T2-Herden.

NEDA – no evidence of disease activity
Betrachtete man alle möglichen Messwerte der Krankheitsaktivität, also Schübe, Fortschreiten der Behinderung, neue T2-Herde und Kontrastmittelanreicherungen, so kann man den „NEDA-Status“ bestimmen. In CARE-MS I wurde dieser bei Interferon-beta 1a in 27% und bei Alemtuzumab in 39% der Fälle erreicht.

Welche Nebenwirkungen hat Alemtuzumab laut der CARE-MS I Studie?
Die Nebenwirkungsprofile der CARE-MS I Studie und der CARE-MS II Studie sind vergleichbar. In der 2-jährigen CARE-MS I-Studie hatten 361 (96%) der Patienten in der Alemtuzumab-Gruppe mindestens eine Nebenwirkung und 172 (92%) der Patienten in der Interferon-beta 1a-Gruppe.

Bei 11 (6%) Patienten in der Interferon-beta 1a-Gruppe und bei 5 (1%) in der Alemtuzumab-Gruppe führten die Nebenwirkungen zum Abbruch der Behandlung.

Die Nebenwirkungen, die bei den Patienten der CARE-MS I Studie auftraten, lassen sich in drei Kategorien einteilen:

Hierbei ist zu beachten, dass Infusionsreaktionen ausschließlich in der Alemtuzumab-Gruppe auftraten, da die Patienten der Interferon-beta 1a-Gruppe keine Infusionen, sondern Injektionen erhielten.

Infusionsreaktionen
 (infusionsassoziierte Reaktionen) sind definiert als Nebenwirkungen, die innerhalb von 24 Stunden nach Beginn der Infusion auftreten (siehe dazu weiter oben im Kapitel "Worauf muss bei der Therapie mit Alemtuzumab geachtet werden?"). Infusionsreaktionen liegen nur für Alemtuzumab vor. Diese traten bei 90% der Patienten auf. Im Einzelnen kamen dabei vor:

  • Kopfschmerzen bei 43%
  • Hautausschlag bei 41%
  • Fieber 
bei 33%
  • Übelkeit bei 14%
  • Nesselsucht bei 11%
  • Flush
 bei 11%
  • Schüttelfrost bei 10%

Andere Nebenwirkungen
Bei 3% der Patienten zeigten sich schwere Infusionsreaktionen. Kein Patient brach die Behandlung mit Alemtuzumab aufgrund von Infusionsreaktionen ab. Auch nach über 24 Stunden können Infusionsreaktions-ähnliche Symptome auftreten.

Allergische Reaktionen im engeren Sinn mit schwerer Kreislaufstörung und Hautausschlag sind dabei nicht sicher von einer Infusionsreaktion zu trennen.

Im Folgenden ist dargestellt, wie viel häufiger, bezogen auf 100 Patienten, Nebenwirkungen in der Alemtuzumab-Gruppe verglichen mit der Interferon-beta 1a-Gruppe auftraten:

  • Infektionen –> 22 von 100
  • Herpesinfektionen –> 15 von 100
  • Schilddrüsenfunktionsstörungen –> 12 von 100

Bei Interferon-beta 1a trat deutlich häufiger eine Leberwerterhöhung auf (17% gegenüber 4%). Auch grippeähnliche Beschwerden traten bei Interferon-beta 1a häufiger auf (30% im Vergleich zu 5% unter Alemtuzumab).

Infektionen traten häufiger nach der Verabreichung von Alemtuzumab (67% der Patienten) als bei Interferon-beta 1a (45% der Patienten) auf und verliefen meist mild bis moderat. Meist handelte es sich um Erkältungen, Harnwegsinfekte und Herpesinfektionen [Herpes Simplex (Lippe) und Herpes Zoster (Gürtelrose)]. Herpesinfektionen traten in der Alemtuzumab-Gruppe (16 von 100) häufiger auf als in der Interferon-beta 1a-Gruppe (2 von 100). Durch die vorbeugende Gabe von Aciclovir während und nach der Infusion von Alemtuzumab konnte die Häufigkeit von Herpesinfektionen deutlich gesenkt werden. Außerdem traten Infekte der oberen Atemwege auf. Schwere Infektionen traten in der Alemtuzumab-Gruppe bei 2% der Patienten auf, in der Interferon-beta 1a-Gruppe bei 1 % der Patienten.

Sekundäre Autoimmunerkrankungen

Alemtuzumab kann, obwohl es gegen die Autoimmunerkrankung MS eingesetzt wird, selbst Autoimmunerkrankungen auslösen. Diese Erkrankungen sind vor allem:

1. Schilddrüsenerkrankungen
2. Gerinnungsstörungen
3. Nierenerkrankungen

1. Schilddrüsenerkrankungen
Bei 18% der Patienten unter Alemtuzumab gegenüber 6% der Patienten mit Interferon-beta 1a trat eine Schilddrüsenerkrankung auf, meist eine Überfunktion. In den Verlängerungsstudien der CARE-MS I zeigte sich, dass Schilddrüsenerkrankungen am häufigsten im 3. Jahr nach Therapiebeginn (16,7%) auftreten und dann in der Häufigkeit abnehmen. Die schwerwiegenden Schilddrüsenereignisse traten ebenfalls im 3. Jahr nach Behandlungsbeginn mit 3,3% am häufigsten auf und nahmen dann wieder ab. Bei 1% (3 Patienten) bei Alemtuzumab war diese Erkrankung schwerwiegend, das heißt, es kam zu deutlichen Beschwerden einer Überfunktion oder einer Schilddrüsenvergrößerung. Über den Verlauf von 5 Jahren seit Therapiebeginn entwickelten 40,7% der mit Alemtuzumab behandelten Patienten eine Schilddrüsenerkrankung. Über 5 Jahre kam es bei 3,7% der Patienten zu einer Entfernung der Schilddrüse, die dann Schilddrüsenhormone als Tablette einnehmen mussten.

2. Gerinnungsstörungen (Immunthrombozytopenie, ITP) 
Zu einer schweren Verminderung der Blutplättchen, die für die Blutgerinnung notwendig sind, kam es in CARE-MS I bei Alemtuzumab bei 3 Patienten, bei Interferon-beta 1a gab es keinen Fall. Diese Verminderung der Blutplättchen kann zu Hautblutungen, Schleimhautblutungen, aber auch inneren Blutungen führen. In einer Studie starb ein Patient an einer ITP. Ein weiterer Todesfall außerhalb einer Studie wurde
im November 2017 gemeldet.

3. Nierenerkrankungen
In CARE-MS I traten keine Nierenerkrankungen auf. Bislang sind insgesamt 4 Fälle einer antikörpervermittelten Nierenerkrankung unter Alemtuzumab bekannt. Alle wurden im Rahmen der regelmäßigen Laboruntersuchungen erkannt und erfolgreich behandelt.

Veränderungen von Blutwerten
Bei den Patienten der CARE-MS I und CARE-MS II Studien zeigten
sich ähnliche Veränderungen der Blutwerte. Ziel der MS-Therapie mit Alemtuzumab ist eine Reduktion der Aktivität von Entzündungszellen. Das Medikament führt zu einer vorübergehenden Reduktion eines Teils der weißen Blutzellen (Leukozyten). Zwei Untergruppen dieser Zellen, die B- und T-Lymphozyten, sind aber langanhaltend reduziert. Die Anzahl der B-Lymphozyten normalisierte sich innerhalb von 6 Monaten wieder. Die T-Lymphozyten befanden sich erst nach 12 Monaten wieder im unteren Normbereich. Auch nach der zweiten Gabe, ein Jahr später, fand sich eine ähnliche vorübergehende Reduktion der Lymphozytenzahl. Das Ausmaß der Reduktion der Lymphozyten scheint dabei kein Indikator für die Wirksamkeit zu sein.

Veränderungen von anderen Laborwerten, wie beispielsweise Leberwerten, wurden nicht beobachtet.

Schwere Nebenwirkungen und Todesfälle
Schwere Nebenwirkungen traten in CARE-MS I bei 18% der Patienten mit Alemtuzumab und bei 14% mit Interferon-beta 1a auf. Drei Patienten entwickelten eine als schwer eingestufte Immunthrombozytopenie. Diese entstanden z. T. schnell, z. T. langsam (innerhalb von 14 bis zu 36 Monaten). Nach Studienende entwickelte ein Patient, der eine dritte Alemtuzumab-Behandlung erhalten hatte, eine Antikörper- vermittelte Nierenerkrankung und wurde erfolgreich behandelt.

Eine Frau mit Schilddrüsen-Überfunktion, die in der Studie schwanger wurde, sowie ihr Kind erlitten nach der Geburt eine so genannte thyreotoxische Krise mit übermäßiger Schilddrüsenhormonausschüttung.

In CARE-MS I traten zudem bei Alemtuzumab 2 Todesfälle auf: Ein Patient verstarb bei einem Autounfall, bei einem anderen Patienten trat nach Studienende eine Verminderung aller Blutzellen auf; eine daraufhin aufgetretene schwere Infektion endete tödlich.

Krebserkrankungen

2 Patienten mit Alemtuzumab entwickelten eine Schilddrüsenkrebserkrankung.


In der Faktenbox auf der nächsten Seite sehen Sie noch einmal die wichtigsten Ergebnisse der CARE-MS I Studie auf einen Blick.