Worauf muss bei der Therapie mit Natalizumab geachtet werden?

Unter welchen Umständen sollte Natalizumab nicht verabreicht werden?
Natalizumab sollte nicht verabreicht werden bei

  • immungeschwächten Patienten, wie z.B. bei HIV-Infektion
  • Patienten mit Tumorerkrankungen
  • PML in der Vorgeschichte

Bei Nachweis einer starken körpereigenen Antikörperantwort gegen das JC-Virus (siehe unten: „Kann man das PML-Risiko abschätzen?“), das eine PML auslösen kann, sollte Natalizumab nur in Ausnahmefällen gegeben werden.

Worauf ist bei Therapiebeginn zu achten?
Weil Natalizumab das Immunsystem hemmt, sollten vor Therapiebeginn alle Standardimpfungen durchgeführt werden, die die STIKO (Ständige Impfkommission) für Menschen empfiehlt, deren Immunsystem teilweise blockiert werden soll./>

Bei Patienten, die bereits eine Therapie erhalten haben, die das Immunsystem beeinflusst oder hemmt, müssen Sicherheitsabstände eingehalten werden. Diese richten sich nach der Wirkdauer der Medikamente. Eine Kurzzeitbehandlung mit Kortikosteroiden (Kortison), z.B. zur Schubtherapie, ist auch während der Behandlung möglich.

Welche Sicherheitsabstände müssen eingehalten werden?
Bei Patienten, die bereits eine Therapie erhalten haben, die das Immunsystem beeinflusst oder hemmt, müssen Sicherheitsabstände eingehalten werden. Diese richten sich nach der Wirkdauer der Medikamente. Die Wartezeit beträgt nach der Behandlung mit...

  • Fingolimod und Teriflunomid mindestens 4 Wochen.
  • Natalizumab mindestens 6-8 Wochen.
  • Azathioprin, Ciclosporin A, Cyclophosphamid, Methotrexat und Mitoxantron mindestens 2-3 Monate.
  • Cladribin mindestens 6 Monate.
  • Alemtuzumab, Ocrelizumab und Rituximab mindestens 6-12 Monate.

Bei der vorherigen Verwendung von Interferonen oder Glatirameracetat müssen, solange sich etwaige Blutbildveränderungen normalisiert haben, keine Sicherheitsabstände eingehalten werden.

Was muss während der Therapie kontrolliert werden?
Das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) empfiehlt:

Kann man das PML-Risiko abschätzen?
Zur Risikoabschätzung sind 3 Faktoren wichtig. Therapiedauer, Vorbehandlung mit Immunsuppressiva und der JCV-Antikörperwert. Dieser Wert zeigt die Menge an Anti-JCV-Antikörpern im Blut (sogenannte Indexwerte) und hängt mit dem Risiko, eine PML zu entwickeln, zusammen. Möglicherweise ist daher eine Zunahme des Antikörper-Indexwertes bei JCV-positiven Patienten bedeutsam. Mit einem niedrigen Antikörperindexwert (< 0,9) besteht demnach bei einem JCV-AK-positiven Patienten innerhalb der ersten beiden Jahre ein ähnliches Risiko wie bei einem JCV-AK-negativen Patienten. Nach der letzten Schätzung von Daten von 125.000 Patienten liegt das Risiko bei negativem Antikörpertest zu erkranken bei 1:10.000. Insgesamt sind weltweit 5 zuerst AK-negative Patienten beschrieben, die dann eine PML entwickelt haben. Bei 4 von diesen Patienten war der AK dann auch positiv. Umgekehrt erhöht ein hoher Antikörperindex (> 1,5) das bisher angenommene Risiko auf 3-10 Fälle/1.000 ab dem 3. Therapiejahr.

1. Therapiedauer
Das Risiko einer PML nimmt mit der Dauer der Natalizumab-Therapie zu. Prinzipiell besteht jedoch auch schon zu Beginn der Behandlung ein Risiko. Im ersten Therapiejahr entwickeln jedoch nur etwa 0,5 von 10.000 Behandelten eine PML, im dritten Jahr sind es etwa 15 auf 10.000 (Stand 28.12.2018). Bei JCV-positiven ist das Risiko 0,6 auf 1.000 in den ersten 2 Jahren, im dritten Jahr dann bei 2 auf 1.000.

2. Immunsuppressive Vortherapie
Eine Vorbehandlung mit einem der Medikamente Mitoxantron, seltener Cylophosphamid, Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil oder Methotrexat kann vermutlich das PML-Risiko erhöhen. Bei Vorbehandlung mit einem dieser Medikamente ist das Risiko im ersten Jahr 0,3 auf 1.000, im zweiten Jahr 0,4 auf 1.000, im dritten Jahr dann 4 auf .1000 und im vierten Jahr 8 auf 1.000. Der Effekt einer Vorbehandlung mit den neueren Medikamenten Teriflunomid, Dimethylfumarat, Fingolimod, Alemtuzumab und Ocrelizumab lässt sich noch nicht abschätzen.

3. JC-Antikörperstatus
In Deutschland sind während der Natalizumab-Therapie bei ca. 60% der Patienten Antikörper gegen das JC-Virus nachweisbar. Bei Gesunden entwickeln jährlich ca. 2 von 100 neu eine Antikörperantwort, haben sich also mit dem Virus auseinandergesetzt ohne krank zu werden.

Das Paul-Ehrlich Institut (PEI) als die deutsche Aufsichtsbehörde hat ein Überwachungskonzept mit Ärzten und der Firma Biogen entwickelt. Dafür ist die wiederholte Bestimmung des JCV-AK-Index wichtig.

Darüber hinaus lässt sich mit einem Diagramm das Risiko berechnen:

Dargestellt ist das Risiko auf jeweils 1.000 behandelte Patienten.

Was passiert, wenn man Natalizumab absetzt?
Untersuchungen an 1866 Patienten, bei denen Natalizumab wegen der ersten PML-Fälle 2005 abgesetzt wurde haben gezeigt, dass meist die Krankheitsaktivität wieder auftritt wie vor Natalizumab. Einige kleinere Untersuchungen haben gezeigt, dass bei einigen Patienten die Schubaktivität vorübergehend sogar stärker ausgeprägt sein kann als zuvor. Durch den plötzlichen Wegfall der Hemmung durch Natalizumab kommt es zu einem verstärkten und raschen Einstrom von Entzündungszellen ins Nervensystem. Dieses tritt evtl. schon nach 4 Wochen bis hin zu 6 Monaten nach Absetzen auf.

Sind Unterbrechungen der Natalizumab-Therapie sinnvoll? 
Es gibt keine Daten die dafür sprechen, dass durch eine Therapiepause die Häufigkeit von PML-Erkrankungen gesenkt werden kann. Experten empfehlen die Therapie nicht zu unterbrechen, um keinen Verlust der Wirkung zu riskieren.

In der RESTORE-Studie[63] mit 175 Patienten, bei denen die Natalizumabgabe 6 Monate unterbrochen wurde und andere Therapien oder keine Therapie eingesetzt wurde, haben ca. 20% der Patienten innerhalb von 4-8 Wochen nach Absetzen von Natalizumab neue Schübe entwickelt.