Wie wirksam ist Glatirameracetat bei schubförmiger MS?

Im Glossar finden Sie unter „Allgemeines zu Wirkungen und Nebenwirkungen von MS-Medikamenten“ eine allgemeine Einführung in die Thematik, welche Ihnen helfen kann, die nachfolgenden Informationen zur Wirkung von Glatirameracetat besser zu verstehen.

Die folgenden Daten beziehen sich zunächst auf die 20-mg-Konzentration; Informationen zur 40-mg-Dosis finden Sie weiter unten im Kapitel.

Wirkung beim klinisch isolierten Syndrom (KIS)
Copaxone® ist seit 2009 in Deutschland auch für Patienten mit KIS zugelassen. Als KIS (englisch: clinically isolated syndrome, kurz CIS) bezeichnet man die ersten Beschwerden, die auf eine MS hindeuten, also einen ersten Schub. Zusatzuntersuchungen liegen in diesem Krankheitsstadium noch nicht vor oder die Ergebnisse lassen noch keine sichere MS-Diagnose zu.

In der PRECISE Studie[92] von Comi et al. 2009 wurden 481 Patienten mit KIS aufgeteilt in zwei Gruppen: Eine Gruppe erhielt täglich eine Placebo-Injektion, die andere eine tägliche Injektion mit 20mg/ml Copaxone®. Patienten, die einen zweiten Schub hatten, wurden aus der Studie entfernt und nahmen nicht in den ganzen 3 Jahren teil. Die teilnehmenden Patienten mussten für die Studie eine unifokale Manifestation und mindestens 2 T2-Läsionen im MRT haben. Endpunkte der Studie waren dabei der Übergang zu klinisch diagnositzierter MS durch einen zweiten Schub, die Zeit bis zu einem zweiten Schub und beobachtete Nebenwirkungen.

Es ergab sich, dass in den beobachteteten drei Jahren 18 von 100 Patienten durch Copaxone zusätzlich ohne 2. Schub blieben: 43 von 100 in der Placebogruppe und 25 von 100 in der Glatirameracetat-Gruppe hatten einen zweiten Schub. 45 con 100 Patienten blieben durch Glatirameracetat zusätzlich ohne zweiten Schub. Außerdem ergab sich eine Verlängerung der Zeit bis zum zweiten Schub von durchschnittlich 336 Tagen bei Placebo-Einnahme zu 772 Tagen bei Copaxone®-Einnahme. Die beobachteten Nebenwirkungen waren die Injektionsreaktion und die systemische Reaktion, die auch in anderen Studien beobachtet wurden (siehe weiter unten im Kapitel „Welche Nebenwirkungen hat Glatirameracetat?“).

1. Wirkung auf die Schubfreiheit bei schubförmiger MS
Die Grafik am Kapitelanfang zeigt, wie viele Patienten nach 2 Jahren Therapie mit Glatirameracetat oder Einnahme von Placebos noch schubfrei waren. Daraus kann man den absoluten Nutzen (absolute Risikoreduktion) und den relativen Nutzen (relative Risikoreduktion) berechnen.

Hier wird die Anzahl der Patienten mit Schüben beschrieben. Um Studienergebnisse mit unterschiedlichen Teilnehmerzahlen besser vergleichen zu können, werden die Ergebnisse bezogen auf 100 Patienten dargestellt:

Der tatsächliche Therapieeffekt zeigt sich, wenn man die Anzahl von Patienten mit Schüben in der Glatirameracetat-Gruppe (63) von denen mit Schüben in der Placebo-Gruppe (73) abzieht. Tatsächlich profitieren 73 – 63, also 10 von 100 Patienten von der Therapie. Das entspricht dem absoluten Nutzen (oder auch der absoluten Risikoreduktion).

-      10 von 100 Patienten haben einen Nutzen von der Therapie.
-      63 von 100 Patienten profitieren nicht von der Therapie, da sie trotz der Einnahme von Glatirameracetat einen Schub hatten.
-      27 von 100 Patienten profitieren nicht, da sie auch ohne Glatirameracetat schubfrei geblieben sind.

2. Wirkung auf die Anzahl der Schübe pro Jahr bei schubförmiger MS
Die jährliche Schubrate zeigt, wie viele Schübe durchschnittlich pro Jahr pro Patient auftraten. Daten für die jährliche Schubrate werden nicht in allen Studien berichtet, in einer der Zulassungsstudien beträgt sie in der Placebo-Gruppe 0,84 Schübe gegenüber 0,59 Schüben in der Glatirameracetat-Gruppe. Etwas verständlicher ausgedrückt: Die Patienten in der Placebo-Gruppe haben im Durchschnitt alle 14 Monate einen Schub, die Patienten in der Glatirameracetat-Gruppe nur alle 20 Monate.

3. Wirkung auf die Zunahme der Behinderung bei schubförmiger MS
Die Zunahme der Behinderung wurde in den oben beschriebenen Zulassungsstudien mithilfe des EDSS gemessen, einer Behinderungsskala von 0 bis 10 (wobei 0 keiner Behinderung entspricht). Die Grafik am Kapitelanfang zeigt, wie viele Patienten nach einer zweijährigen Therapie mit Glatirameracetat bzw. zweijähriger Einnahme von Placebos keine Zunahme der Behinderung hatten. Dargestellt sind wieder der absolute Nutzen (absolute Risikoreduktion) und der relative Nutzen.

Im Glossar finden Sie Angaben zum Nutzen von Medikamenten bei anderen Erkrankungen. So bekommen Sie einen Eindruck davon, wie groß die Therapieeffekte bei MS im Vergleich zu denen bei anderen Krankheiten sind.

Im Folgenden wird die Entwicklung der Behinderung in zwei Jahren beschrieben, jeweils bezogen auf 100 Patienten:

-      21 von 100 Patienten haben trotz der Glatirameracetat-Therapie eine Zunahme der Behinderung
-      72 von 100 Patienten profitieren nicht von der Therapie, sie haben unabhängig von der Therapie keine Zunahme der Behinderung
-      7 von 100 Patienten haben durch die Einnahme von Glatirameracetat keine Zunahme der Behinderung

Der tatsächliche Therapieeffekt zeigt sich, wenn man die Anzahl von Patienten mit einer Behinderungszunahme in der Glatirameracetat-Gruppe (21) von denen mit einer Behinderungszunahme in der Placebo-Gruppe (28) abzieht. Hier profitieren 28 – 21, also 7 von 100 Patienten von der Therapie.

Glatirameracetat in 40mg/ml Konzentration
Glatirameracetat ist in der 40mg/ml Konzentration mit Injektion alle 2 Tage seit 2015 auch in Europa zugelassen, nachdem in einer Studie[89] (siehe weiter oben im Kapitel „Welche Zulassungsstudien wurden für Glatirameracetat durchgeführt?“) 1534 Patienten entweder Placebo oder 40mg Glatirameracetat über 12 Monate einnahmen. Das Ergebnis zeigte, dass mit Glatirameracetat 40mg/ml 34 von 100 Patienten zusätzlich im Vergleich zu Placebo zusätzlich schubfrei blieben. Auch hatten zusätzliche 35 von 100 Patienten weniger neue oder vergrößerte T2-Läsionen im MRT. An Nebenwirkungen traten am häufigsten die Injektionsreaktionen auf, die auch bei Glatirameracetat 20mg/ml beobachtet wurden.

4. Wirkung auf die MRT/das Kernspin in zwei Jahren bei schubförmiger MS
Die Wirkung von Glatirameracetat auf MRT-Bilder wurde in Studien nur über 9 Monate getestet (Comi 2001[40]) und ist deshalb nur begrenzt interpretierbar. In der Studie wurden 239 Personen mit schubförmiger MS über 9 Monate entweder 20mg Glatirameracetat oder Placebo täglich gespritzt, mit dem Ergebnis, dass Glatirameracetat signifikant die Krankheitsaktivität im MRT senkt.

Im Glossar finden Sie Daten zu dem Anteil der Patienten, bei denen es über 2 Jahre keine Anzeichen einer Krankheitsaktivität gab (NEDA - no evidence of disease activity).




Zulassungsstudien

Die Wirkung von Glatirameracetat in der 20-mg-Dosis auf die Schubrate und die Zunahme der Behinderung wurde in mehreren Zulassungsstudien (Bornstein 1987[38]) und Johnson 1995[39]) geprüft und veröffentlicht. Insgesamt wurden in den beiden Studien 301 Patienten mit schubförmiger Multiple Sklerose über einen Zeitraum von 2 Jahren untersucht. Eingeschlossen wurden Patienten, die in den 2 Jahren vor Studienbeginn mindestens 2 dokumentierte Schübe hatten und einen EDSS-Score von <6.

In der Vorstudie zur Therapie mit Glatirameracetat von Bornstein et al. 1987 wurden 20mg Glatirameracetat und ein Placebo verglichen. Die Wirkstoffe wurden dabei zufällig verteilt und weder die 51 Patienten noch die Ärzte wussten, welche Substanz die jeweiligen Patienten erhielten.

1995 folgte eine größere Studie von Johnson et. al., in der 250 Patienten zufällig verteilt entweder Placebo oder 20mg Glatirameracetat bekamen. Studienendpunkte waren die Schubfreiheit und die Zunahme von Beeinträchtigung.

Die Zulassung von Copaxone® 40mg beruht vor allem auf Daten aus der randomisiert-kontrollierten GALA-Studie[89] (Phase-III-Glatirameracetat Low-Frequency Administration). Die Daten in den folgenden Kapiteln werden sich allerdings primär auf die niedrigere Dosis beziehen, also Copaxone in 20mg-Konzentration.

Schließlich wurde im Jahr 2000 eine Studie[40] durchgeführt, die ihr Hauptaugenmerk auf mögliche in der Kernspintomografie nachweisbare Wirkungen von Copaxone® richtete. Da diese Studie nur über neun Monate lief, werden die Daten in der folgenden Übersicht nicht berücksichtigt. Die unten aufgeführten Ergebnisse beruhen somit auf Daten von insgesamt 299 behandelten Patienten. Diese wurden kürzlich auch in einem Cochrane Review analysiert. Hauptendpunkt der Studien war die jährliche Schubrate.