Mitoxantron
Studien
Insgesamt wurden vier randomisierte Studien mit 270 Patienten mit Mitoxantron bei MS durchgeführt.[9][10][11][12]
Die Studien sind schwer vergleichbar und unterscheiden sich in der Verabreichungsweise des Mitoxantrons, in den Eigenschaften der Studienteilnehmer sowie zusätzlichen Kortisontherapien. Nur in einer Studie (MIMS = Mitoxantron in MS[11], ) wurden Patienten mit deutlicher Zunahme der Beeinträchtigung (mit oder ohne aufgelagerten Schübe) behandelt. Die amerikanische Therapiekommission der Selbsthilfeverbände kommt zu dem Ergebnis, dass dringend weitere Studien notwendig sind, um eine uneingeschränkte Empfehlung zur Therapie der sekundär-chronischen MS mit Mitoxantron geben zu können. Die MIMS-Studie ist mit insgesamt 188 behandelten Patienten die größte Studie zur Mitoxantrontherapie und diente als Basis für die Zulassung des Medikaments in Deutschland. Außerdem ist sie die einzige, bei der die Anzahl von Patienten mit progredientem Verlauf berichtet wird. Daher bildet sie die Basis der folgenden Bewertung. Die Studiendauer betrug zwei Jahre. Dargestellt werden die Effekte für die Therapiegruppe mit der höheren Dosierung (12 mg/m2 Körperoberfläche) des Mitoxantrons.
Wirkungen
Mitoxantron scheint insbesondere bei Patienten wirksam zu sein, die noch eine Schubaktivität haben. Nur die Millefiorni-Studie[6] behandelte ausschließlich Patienten mit SRMS. Hier zeigte sich bei 51 Patienten, die ein Jahr lang mit monatlichen Gaben von 8mg/m2 Körperoberfläche Mitoxantron behandelt wurden, nach zwei Jahren Beobachtungszeit ein deutlicher Effekt hinsichtlich der Senkung der Schubrate. Unter Mitoxantron waren 19 von 27 Patienten schubfrei gegenüber 6 von 24 unter Placebo. 2 von 27 Mitoxantron-Patienten hatten eine Beeinträchtigungszunahme gegenüber 9 von 24 unter Placebo. Die Kernspinparameter waren nicht eindeutig beeinflusst. Problematisch bei nur einjähriger Therapiedauer ist die Gabe hoher Dosen innerhalb eines kurzen Zeitraums. Es ist anzunehmen, dass die Krankheitsaktivität im weiteren Verlauf wieder zunimmt. Ob dann eine erneute Gabe zu verantworten ist, bleibt unsicher (siehe nächsten Abschnitt).
Nebenwirkungen
Bei 47 von 100 Patienten tritt eine therapiebedingte Übelkeit auf, bei 28 von 100 kommt es zu einem teilweisen Haarausfall. Bei 26 von 100 Patientinnen kommt es therapiebedingt zu Zyklusstörungen. Das Krebsrisiko liegt bei Mitoxantron vermutlich zwischen einer Krebserkrankung auf 100 Therapien bis zu einer auf 1.000 Therapien. In der Behandlungsgruppe kam es bei jeweils 4 von 100 Patienten pro Dosierungsgruppe zu im Ultraschall erkannten Funktionsstörungen des Herzens. Da die Nebenwirkungen der vier kontrollierten Studien vergleichbar waren, werden hier die Daten der Metaanalyse[13] zugrunde gelegt. Diese sind in Abbildung "Häufige Nebenwirkungen unter Mitoxantron" aufgelistet. Bei sechs (8%) der Frauen unter Mitoxantron blieb die Regelblutung anhaltend aus. Leider liegen bislang keine Studien vor, die die Entwicklung der Nebenwirkungen über einen längeren Zeitraum darstellen. Somit kann die Wirksamkeit nach zwei Jahren nicht den Nebenwirkungen in zwei Jahren gegenübergestellt werden.
Alle Angaben zu Nebenwirkungen sind dementsprechend verlaufsunabhängig. Der Ausprägungsgrad der Nebenwirkungen ist unterschiedlich. Die relativ häufige Übelkeit kann bis zu zwei Wochen andauern. Der Haarausfall war bislang nie vollständig. Gelegentlich treten Verhärtungen der Blutgefäße auf, in die das Medikament gegeben wird. Sollte das Medikament versehentlich nicht ins Gefäß, sondern ins Gewebe gelangen, kann es zum Absterben von Gewebe kommen.
Nebenwirkungen in Einzelfällen
In Einzelfällen kann es zur Blauverfärbung im Bereich der Augen und Fingernägel kommen.
Verminderung der weißen Blutzellen (Leukozyten)
Bei 13% der mit 12 mg Mitox behandelten Patienten kam es zu einer Verminderung der weißen Blutzellen, in der Kontrollgruppe gab es keine derartige Blutbild-Veränderung. Die Veränderungen der Leukozytenwerte bedürfen aber in der Regel keiner besonderen Therapiemaßnahme.
Erhöhung des Leberwerts Gamma-GT
Bei 17% der mit 12mg behandelten Patienten kam es zu einer Erhöhung von Leberwerten gegenüber 8% in der Kontrollgruppe. Auch diese Veränderungen erfordern keine besondere Therapiemaßnahme.
Herzschädigung
In insgesamt drei Studienjahren kam es unter Mitoxantron zu keiner statistisch nachweisbaren Auffälligkeit der Herzfunktion. Gemessen wird hierbei die Flüssigkeitsmenge, die mit einem Herzschlag aus der linken Herzkammer gepumpt wird. Bei 3 von 5 Patienten mit Herzfunktionsstörungen im Ultraschall wurde das Medikament abgesetzt. Kein Patient entwickelte Herzbeschwerden. Eine Verminderung der Auswurfmenge um mehr als 50% wurde dabei als Bezugsgrösse gewählt. Fühlbare Beschwerden traten jedoch nicht auf.
Langzeitnebenwirkungen Herzschädigung
Unter Mitoxantron kann eine so genannte Kardiomyopathie entstehen, das heißt eine zunehmende Schwäche des Herzmuskels. Aus Studiendaten der Krebstherapie weiß man, dass ab einer Gesamtdosis von ca. 140 mg/m2 (= 12mg – alle drei Monate – über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren) das Risiko deutlich steigt. Treten erst einmal Beschwerden auf, so sind sie vermutlich auch nicht wieder rückläufig. In einer Metaanalyse der Mitoxantronstudien[14] wurden Daten von 1.378 Patienten über zwei Jahre Therapie ausgewertet. Von diesen Patienten starben zwei an einer Herzschwäche. Von 779 Patienten, die mit Ultraschall untersucht wurden, entwickelten 17 Patienten eine Minderung der Herzfunktion von mehr als 50%. Wenn die Gesamtdosis über 100 mg/m2 lag, trat diese Verminderung eher auf. Eine bislang nur als Vortrag vorgestellte Studie mit 802 Patienten zeigte, dass von 12 Patienten, die eine Verminderung der Herzleistung im Ultraschall zeigten, die Werte bei dreien auch nach Absetzen des Medikaments auffällig blieben.
Einzelfallberichte deuten darauf hin, dass auch einzelne Patienten bei Dosierungen unter 100 mg/m2 Verminderungen der Herzleistung erfahren. Andererseits behandeln einzelne MS-Zentren auch mit deutlich höheren Dosierungen. Vermutlich spielt die individuelle Empfindlichkeit eine entscheidende Rolle. Insgesamt gibt es sehr wenige Langzeitdaten, die die Herzschädigung von Mitoxantron angemessen beurteilen lassen. Als Konsequenz daraus ist eine Therapie nur über ca. drei Jahre relativ „herzsicher“ durchführbar.
Krebsrisiko
Obwohl Mitoxantron zur Krebstherapie eingesetzt wird, erhöht Mitoxantron selbst das Risiko, eine Krebserkrankung – vor allem Blutkrebs – zu erleiden. Das Risiko durch eine Mitoxantrontherapie eine weitere Krebserkrankung zu erleiden, ist gegenüber anderen Krebstherapien vierfach erhöht, wie man aus Studien mit Krebspatienten festgestellt hat.[15] In einer Metaanalyse aller Mitoxantronstudien zur MS mit insgesamt 1378 Patienten[16] wurde ein Patient mit einer vermutlich therapiebedingten Blutkrebserkrankung beschrieben. Aus einer Erkrankung lässt sich keine Häufigkeit berechnen. Mittlerweile gibt es weltweit mehrere Einzelfallberichte, zum Teil auch nach kürzeren Therapiezeiten. Ohne längere Beobachtungszeiten und größere Patientengruppen ist das Ausmaß des Risikos jedoch nicht generell zu beurteilen. Bei Vorbehandlung oder gleichzeitiger Behandlung mit anderen Chemotherapeutika und/oder Strahlentherapie kann das Krebsrisiko unter Mitoxantron noch deutlicher erhöht sein.
Verhinderung und Behandlung von Nebenwirkungen
Zur Verhinderung der Übelkeit kann vor und nach Gabe von Mitoxantron ein Mittel gegen Übelkeit und Erbrechen gegeben werden (z.B. Metoclopramid). Diese Zusatzbehandlung kann evtl. über einige Tage fortgesetzt werden.
Schwächen der Studien
Untersuchte Patientengruppe In der MIMS-Studie wurden Patienten in weniger fortgeschrittenen Stadien als in den Beta-Interferonstudien zur SPMS untersucht. 50% der Patienten hatten noch Schübe. Der Beeinträchtigungsgrad war mit einem EDSS von 4,5 geringer als in den Beta-Interferon-SPMS-Studien (5,5). Die Krankheitsdauer lag mit 10 Jahren im Vergleich zu 13-14 Jahren niedriger.
Beeinträchtigung im EDSS
Der Unterschied im mittleren EDSS nach zwei Jahren Therapie in der 12 mg/m2-Gruppe lag bei 0,36 gegenüber Placebo und war statistisch signifikant. Allerdings bestand schon zu Beginn ein Unterschied von 0,24 Punkten im EDSS zwischen beiden Behandlungsgruppen. Nach 3 Jahren Beobachtungszeit war bei 138 Patienten im EDSS statistisch kein Effekt mehr nachweisbar. Dennoch hatten in der 12 mg- Gruppe nur 6 von 42 Patienten der Behandlungsgruppe gegenüber 16 von 40 Patienten der Kontrollgruppe eine Zunahme der Beeinträchtigung im EDSS.
Schubrate
Das Auftreten von Schüben wurde von nicht verblindeten Ärzten dokumentiert. Das Ergebnis der Studie ist somit möglicherweise beeinflusst.
Häufig gestellte Fragen
Hilft Mitoxantron besser als Beta-Interferone?
Eine direkte vergleichende Untersuchung mit anderen MS-Therapien wurde bislang nicht durchgeführt. Da die in der MIMS-Studie behandelten Patienten aber den Patienten der europäischen SPMS-Studie ähnelten, lassen sich diese Ergebnisse gegenüberstellen.
Aus dieser Übersicht ergibt sich, dass die SPMS Patienten der Beta-Interferonstudie schon länger krank waren und eine größere Beeinträchtigung hatten. Diese Tatsache relativiert den Unterschied in der Wirksamkeit von 9% gegenüber 14% bezogen auf eine Zunahme der Beeinträchtigung im EDSS: Der härtere Endpunkt Rollstuhlpflichtigkeit zeigte keine überzeugenden Unterschiede. Demgegenüber stehen die schwereren Nebenwirkungen. Eine abschließende Beurteilung der Wirksamkeiten im Vergleich wäre nur mit einer kontrollierten Studie möglich, die die Wirkstoffe direkt miteinander vergleicht.
Wie viele Patienten müssen behandelt werden, damit ein Behandelter einen Nutzen hat?
Um bei einem Patienten die Zunahme der Beeinträchtigung in zwei Jahren Therapie zu verhindern, müssen sieben Patienten behandelt werden. Das heißt, 6 von 7 behandelten Patienten haben vom Mitoxantron keinen Nutzen.
Was passiert, wenn man kein Mitoxantron nimmt?
Wenn keine Behandlung erfolgt, sollten andere Therapiealternativen überlegt werden. Ohne Behandlung folgt die Erkrankung dem natürlichen Verlauf. Dabei ist dieser Verlauf ohne Therapie wie auch mit Mitoxantron individuell sehr verschieden und schwer vorherzusagen.
Was passiert, wenn man das Medikament absetzt?
Systematische Untersuchungen fehlen hier.
Wie lange kann man und wie lange muss man das Medikament nehmen?
Da Mitoxantron die Erkrankung weder heilen noch zum Stillstand bringen kann, stellt es eine Dauertherapie dar. Allerdings kann die Therapie (je nach Dosierung) wegen des steigenden Risikos von Nebenwirkungen nur über ca. drei Jahre mit 12 mg/m2 im Drei-Monatsrhythmus durchgeführt werden. Bei einer Stabilisierung der Erkrankung kann überlegt werden, ob man im Verlauf der Therapie die Dosis reduziert. In der MIMS-Studie hatte auch dieses Vorgehen noch einen Therapieeffekt. So kann die Therapie eventuell auf drei bis vier Jahre verlängert werden.
Welchen Einfluss hat die Mitoxantron- Therapie auf die Lebensqualität?
Die Gabe des Medikaments alle drei Monate stellt einen Vorteil gegenüber täglichen oder mehrmals wöchentlichen Therapien dar. Die Verträglichkeit des Mitoxantrons ist relativ gut. Die wenigen Daten zur Lebensqualität aus der MIMS-Studie sprechen für eine Wirkung der Behandlung. Allerdings müssen hier zusätzlich die Langzeitnebenwirkungen bedacht werden, zu denen neben Herzschädigung und Krebsrisiko auch die Veränderung der Blutgefäße mit möglicherweise schmerzhaften Vernarbungen zählen.
Wann darf Mitoxantron nicht genommen werden?
Während schwerer Infektionen und bei bestehender Latexallergie sowie bekannter Mitoxantronallergie sollte Mitoxantron nicht eingenommen werden. Bei schwerer Leber- oder Nierenerkrankung und bei Vorerkrankungen des Herzens ist besondere Vorsicht geboten. Während einer Schwangerschaft darf keine Mitoxantron-Therapie erfolgen. Frauen und Männer müssen eine Empfängnisverhütung betreiben, bei Männern noch bis zu sechs Monaten nach der letzten Mitoxantrongabe.
Was muss während der Therapie beachtet werden?
Generell sollte das Blutbild (v.a. weiße Blutkörperchen, Blutplättchen und Leberwerte) eine Woche vor Therapiebeginn und in den zwei Wochen nach Therapie jeweils mindestens einmal kontrolliert werden. Ist der Leukozytenwert geringer als 3.500/μl, sollte die Dosis auf 9 mg/m2 reduziert werden. Liegt der Wert unter 3.000/μl, sollte die Dosis auf 6 mg/m2 reduziert werden.
Bei Werten unter 2.000/μl sollte keine Therapie erfolgen. Auch bei einem Abfallen der Blutplättchen unter 75.000/μl sollte eine entsprechende Reduktion, bei Werten unter 50.000 ein Aussetzen erfolgen. Zumindest ab einer Gesamtdosis von 100 mg/m2 sollte vor jeder weiteren Gabe eine Ultraschalluntersuchung des Herzens erfolgen. Sollte das Mitoxantron nicht in die Vene, sondern versehentlich ins umliegende Gewebe gelangen, besteht das Risiko einer Entzündung, eventuell auch einer Nekrose.
Wie erfolgt die Medikamentengabe?
Das Medikament wird in mindestens 50 ml Flüssigkeit (Kochsalz- oder Zuckerlösung) gelöst und entweder als Spritze oder Kurzinfusion verabreicht. Die Dauer der Medikamentengabe sollte mindestens fünf Minuten betragen.
Wie häufig und wie viel Mitoxantron sollte gegeben werden?
In der Zulassungsstudie wurde Mitoxantron mit 12mg und 5mg /m2 Körperoberfläche alle drei Monate eingesetzt. Andere Studien haben Mitoxantron mit 8 und 10 mg/m2 maximal sogar monatlich gegeben. Daten für eine Wirksamkeit gibt es nicht für Abstände, die größer sind als drei Monate (z.B. halbjährlich). Insofern sollte die Gabe zumindest alle drei Monate erfolgen. Inzwischen gibt es in Deutschland sehr unterschiedliche Strategien zur Dosierung, so dass die Beurteilung der Wirksamkeit oft sehr schwer ist. Am sinnvollsten erscheint sicherlich die Dosierung nach der Zulassungsstudie, da nur hier eine Wirksamkeit belegt ist.