Azathioprin (Imurek®)
Azathioprin ist als sogenanntes Reservemedikament zur Therapie der schubförmigen MS zugelassen, wenn eine Therapie mit anderen Medikamenten nicht möglich ist oder bisher eine Stabilisierung mit Azathioprin erreicht wurde. Die Gabe erfolgt je nach Körpergewicht mit 100-200 mg pro Tag.
Wirkungen & Nebenwirkungen im grafischen Überblick
Schubfreie Patienten
Patienten ohne Zunahme der Behinderung
Ausreichende Studiendaten fehlen.
Nebenwirkungen
Was ist Azathioprin?
Wie wirkt Azathioprin?
Azathioprin wird vom Körper in die DNS, also die Erbsubstanz der Zellen, eingebaut. Hier hemmt es die Teilung der Zellen. Der genaue Wirkmechanismus bei MS ist nicht geklärt. Das Medikament wirkt vor allem auf die Lymphozyten, eine Untergruppe der weißen Blutzellen, indem es deren Bildung hemmt. Diese Wirkung tritt jedoch erst nach 3 – 6 Monaten ein.
Für wen ist Azathioprin zugelassen?
Azathioprin ist eine entzündungshemmende Substanz. Es ist in Tablettenform unter den Namen Imurek®, Zytrim®, Azamedac®, Azathioprin ratiopharm® und Azafalk® zugelassen. Die Substanz wird vor allem bei rheumatischen Erkrankungen eingesetzt. Bei MS ist Azathioprin zugelassen, wenn eine Therapie mit anderen Medikamenten nicht möglich ist oder bisher eine Stabilisierung mit Azathioprin erreicht wurde.
Wie wird Azathioprin eingenommen?
Azathioprin wird als Tablette eingenommen. Begonnen wird meist mit einer Dosis von 2,5 mg/kg Körpergewicht (ca. 100-200 mg täglich) in 2-3 Gaben pro Tag (25 oder 50 mg).
Hier sehen Sie ein Foto einer Medikamentenpackung von Imurek®:

Bildquelle: https://www.shop-apotheke.com/arzneimittel/3942607/imurek-25-filmtabl.htm
Wie wirksam ist Azathioprin bei schubförmiger MS?
Im Glossar finden Sie unter "Allgemeines zu Wirkungen und Nebenwirkungen von MS-Medikamenten" eine allgemeine Einführung in die Thematik, welche Ihnen helfen kann, die nachfolgenden Informationen zur Wirkung von Fumarat besser zu verstehen.
Bei schubförmiger MS mit vielen Schüben (mindestens zwei in zwei Jahren) hat Azathioprin vermutlich einen mäßigen Effekt auf eine Reduktion der Schubanzahl pro Jahr. Ein Effekt auf die Behinderung lässt sich aus den vorliegenden Untersuchungen nicht ableiten, da aufgrund der geringen Fallzahl die Schätzung sehr ungenau ist.
Im Folgenden werden, wie bei allen hier vorgestellten Therapien, die Anzahl schubfreier Patienten und die Anzahl der Patienten, bei denen die Behinderung nicht zunimmt, dargestellt. Dabei ist allerdings einschränkend zu sagen, dass die Studie zur Beurteilung der Behinderungszunahme nur eine kleine Teilnehmerzahl aufweist. Daher besteht die Möglichkeit, dass es sich um ein zufällig positives Ergebnis handelt.
1. Wirkung auf die Schubfreiheit
Die Grafik am Kapitelanfang zeigt, wie viele Patienten nach zwei Jahren Therapie mit Azathioprin bzw. Einnahme von Placebos noch schubfrei waren. Daraus kann man den absoluten Nutzen (absolute Risikoreduktion) und den relativen Nutzen (relative Risikoreduktion) berechnen.
Hier wird die Anzahl der Patienten mit Schüben beschrieben. Um Studienergebnisse mit unterschiedlichen Teilnehmerzahlen besser vergleichen zu können, werden die Ergebnisse bezogen auf 100 Patienten dargestellt:
Der tatsächliche Therapieeffekt zeigt sich, wenn man die Anzahl von Patienten mit Schüben unter Azathioprin (54) von denen mit Schüben unter Placebo (71) abzieht. Hier profitieren 71 – 54, also 17 von 100 Patienten von der Therapie.
- 17 von 100 Patienten haben einen Nutzen von der Therapie.
- 54 von 100 Patienten profitieren nicht von der Therapie, da sie trotz der Einnahme von Azathioprin einen Schub hatten.
- 29 von 100 Patienten profitieren nicht, da sie auch ohne Azathioprin schubfrei geblieben sind.
2. Wirkung auf die Anzahl der Schübe pro Jahr
Die jährliche Schubrate zeigt, wie viele Schübe durchschnittlich pro Jahr pro Patient auftraten. Sie lag in der Placebo-Gruppe bei 0,75 Schüben gegenüber 0,24 in der Azathioprin-Gruppe. Etwas verständlicher ausgedrückt: Die Patienten in der Placebo-Gruppe haben im Durchschnitt alle 1,3 Jahre einen Schub, die Patienten in der Azathioprin-Gruppe nur alle 4 Jahre.
3. Wirkung auf die Zunahme der Behinderung
Die Zunahme der Behinderung wurde in den Zulassungsstudien mit Hilfe des EDSS gemessen, einer Behinderungsskala von 0 bis 10 (wobei 0 keiner Behinderung, 10 dem Tod entspricht).
Da der Effekt nur auf der Analyse von 87 Patienten aus zwei Studien beruht, ist er statistisch nicht signifikant, weshalb er nicht grafisch dargestellt werden kann. Wenn man die Ergebnisse auf 100 Patienten hochrechnet, zeigt sich folgendes Bild: Bei 21 von 100 Patienten unter Azathioprin nimmt die Behinderung in zwei Jahren zu. Unter Placebo zeigten 40 von 100 Patienten eine Zunahme der Behinderung in zwei Jahren. Damit könnten 40 – 21 = 19 von 100 Patienten von der Therapie profitieren.
4. Wirkung auf die MRT/das Kernspin in zwei Jahren
In der MRT treten Kontrastmittelanreicherungen und sogenannte T2-Herde auf, die als Ausdruck der Entzündung bei MS betrachtet werden. Dabei können Herde im Erkrankungsverlauf größer werden oder ganz neu auftreten.
Größere Studien zu MRT-Effekten von Azathioprin fehlen. Kleinere Untersuchungen konnten einen Effekt auf die Anzahl kontrastmittelspeichernder Herde und das Gesamtvolumen der Herde zeigen.
Zulassungsstudien
Azathioprin ist vor mehr als 30 Jahren in Studien untersucht worden. In diesen Studien wurden oft schubförmige und chronische MS-Patienten gemeinsam behandelt. Nur sehr begrenzt ist ein Vergleich mit neuen MS-Therapiestudien möglich.
Im Jahr 2007 wurden in einem Cochrane Review (Casetta et al.[66]) die Studien zur Wirksamkeit von Azathioprin zusammengefasst. Dabei wurden Daten von 698 Patienten aus 5 Studien analysiert. Eingesetzt wurde eine tägliche Azathioprin-Dosierung von 2-3 mg pro kg Körpergewicht über 3 Jahre. Hauptendpunkt der Studie war die Senkung der Schubrate, gemessen als mittlerer Unterschied im EDSS nach 3 Jahren.
Welche Nebenwirkungen hat Azathioprin?
Grundsätzlich ist wichtig zu wissen, dass Nebenwirkungen in Studien nicht nur bei den Patienten auftreten, die ein neues Medikament erhalten, sondern auch in der Studiengruppe mit einem bekannten Medikament oder Placebo (siehe "Allgemeines zu Wirkungen und Nebenwirkungen von MS-Medikamenten").
Häufige Nebenwirkungen
Magen-Darm-Störungen und allergische Hautreaktionen sind die häufigsten Nebenwirkungen unter Azathioprin. Das vermehrte Auftreten von Infekten oder Krebserkrankungen ist in den Azathioprin-Studien bei MS nicht belegt. Aufgrund des langen Einsatzes von Azathioprin gibt es zahlreiche Untersuchungen zu akuten wie auch Langzeitnebenwirkungen. Dabei gilt es, auch die Befunde bei anderen, insbesondere rheumatologischen Krankheitsbildern zu berücksichtigen. Allerdings kann sich eine andere Grunderkrankung auch anders auf Nebenwirkungen auswirken.
Die Tabelle zeigt Nebenwirkungen aus einer Metaanalyse[66], in der aus vier Studien Daten von insgesamt 658 Patienten zu Nebenwirkungen errechnet werden konnten.
*Bei diesen Nebenwirkungen war der Unterschied zwischen der Azathioprin- und der Placebo-Gruppe nicht statistisch signifikant.
Magen-Darmbeschwerden
Magen-Darmbeschwerden können in Form von Übelkeit, Magenschmerzen, Krämpfen und Durchfällen auftreten. Aus der Metaanalyse lässt sich die Häufigkeit abschätzen: 8% der Patienten hatten durch die Einnahme von Azathioprin im ersten Therapiejahr Magen-Darm-Beschwerden, aber auch 2% derjenigen, die ein Placebo bekamen.
Allergische Hautreaktionen
7% der Patienten hatten im ersten Jahr der Therapie Hautreaktionen. Dabei waren 5% der Azathioprin-Gruppe betroffen, während 2% der Patienten in der Placebo-Gruppe waren.
Infekte
Insgesamt hatten 8 von 100 Patienten im ersten Therapiejahr virale oder bakterielle Infekte. 2% sind auf die Azathioprin-Gabe zurückzuführen.
Verminderung von Blutzellen
Nur in einer der Studien musste die Therapie bei 4 von 174 Patienten (2%) wegen anhaltender Verminderung weißer Blutzellen (Leukozyten) abgebrochen werden.
Auch eine Blutarmut (Anämie) trat häufiger unter Azathioprin auf: Bei 3 von 100 Patienten in der Azathioprin- und bei <1 von 100 Patienten in der Placebo-Gruppe zeigte sich eine Verminderung der roten Blutbestandteile.
In einer Studie war eine Anämie der Grund für 3 Therapieabbrüche.
Leberwerterhöhungen
Bei 8 von 100 Patienten zeigten Blutbildkontrollen erhöhte Leberwerte. Davon sind 7 auf Azathioprin zurückzuführen, 1 Patient erhielt ein Placebo.
Welche neuen Nebenwirkungen wurden nach Abschluss der Zulassungsstudien berichtet?
Patienten aus einer der Azathioprin-Studien wurden 15 Jahre weiterverfolgt.Hier fand sich keine erhöhte Krebsrate durch eine Azathioprin-Therapie, die drei Jahre lang währte. Registerdaten über 10 Jahre Therapie und aus anderen Behandlungszusammenhängen zeigen, dass ab einer Gesamtdosis von 600g nach ca. 9 bis 10 Jahren Therapie das Krebserkrankungsrisiko möglicherweise erhöht ist. Bezogen auf den Zeitraum bis zu 10 Jahren Therapie ließ sich keine Erhöhung des Krebsrisikos nachweisen.
Worauf muss bei der Therapie mit Azathioprin geachtet werden?
Unter welchen Umständen sollte Azathioprin nicht eingenommen werden?
In der Schwangerschaft und in der Stillzeit. Eine Verhütung wird bei Frauen und Männern bis sechs Monate nach Absetzen des Medikaments empfohlen. Die Datenlage zur Frage nach Fehlbildungen ist nicht eindeutig. Im Tierversuch wurde ein klarer Zusammenhang mit Fehlbildungen der Nachkommen gezeigt. In einer systematischen Übersicht war die Fehlbildungsrate beim Menschen nicht sicher erhöht. Bei bekannter Überempfindlichkeit auf Azathioprin sollte es nicht eingenommen werden.
Worauf ist bei Therapiebeginn zu achten?
Der Effekt von Azathioprin tritt erst nach einer Einnahme über drei bis sechs Monate auf, wenn die Substanz richtig im Stoffwechsel „eingebaut“ ist. Der Abbauprozess von Azathioprin im Körper kann zwischen Patienten sehr verschieden sein. Deshalb muss bei jedem Patienten genau auf die Dosierung und auf Blutwerte geachtet werden.
Welche Sicherheitsabstände müssen eingehalten werden?
Bei Patienten, die bereits eine Therapie erhalten haben, die das Immunsystem beeinflusst oder hemmt, müssen Sicherheitsabstände eingehalten werden. Diese richten sich nach der Wirkdauer der Medikamente. Die Wartezeit beträgt nach der Behandlung mit...
- Fingolimod und Teriflunomid mindestens 4 Wochen.
- Natalizumab mindestens 6-8 Wochen.
- Azathioprin, Ciclosporin A, Cyclophosphamid, Methotrexat und Mitoxantron mindestens 2-3 Monate.
- Cladribin mindestens 6 Monate.
- Alemtuzumab, Ocrelizumab und Rituximab mindestens 6-12 Monate.
Bei der vorherigen Verwendung von Interferonen oder Glatirameracetat müssen, solange sich etwaige Blutbildveränderungen normalisiert haben, keine Sicherheitsabstände eingehalten werden.
Was muss bei der Therapie kontrolliert werden?
Während der ersten 8 Wochen der Behandlung sollte mindestens einmal pro Woche ein Blutbild einschließlich Thrombozytenzählung, also eine Zählung der Blutplättchen, angefertigt werden.
Nach 8 Wochen kann die Häufigkeit der Blutuntersuchungen reduziert werden. Es wird empfohlen monatlich ein vollständiges Blutbild anzufertigen, mindestens jedoch alle 3 Monate. Das Blutbild sollte häufiger kontrolliert werden:
- wenn hohe Dosen eingesetzt werden
- bei älteren Patienten
- bei Störungen der Nierenfunktion
- bei leichten bis mäßig schweren Störungen der Leberfunktion
- bei leichten bis mäßig schweren Störungen der Knochenmarkfunktion
Bei gravierenden Blutbildveränderungen und beim Auftreten schwerer Infektionen kann es notwendig sein, das Medikament abzusetzen. Zudem nimmt die Lichtempfindlichkeit der Haut unter Azathioprin zu. Solarien sollten deshalb nicht aufgesucht werden, Sonnenbaden ist nur mit gutem Lichtschutz möglich.
Wie lange wird behandelt?
Da Azathioprin weder die Erkrankung heilen noch zum Stillstand bringen kann, stellt es eine Dauertherapie dar. Bei offensichtlicher Verschlechterung der Erkrankung wie bei deutlichen Nebenwirkungen muss überlegt werden, ob das Medikament gewechselt werden soll.
Azathioprin - Häufig gestellte Fragen
Gibt es Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten?
Allopurinol (Gichtmittel), Marcumar (Gerinnungsmittel) und bestimmte Narkosemittel sollten nicht mit Azathioprin zusammen eingenommen werden.
Lebendimpfungen können gefährlich sein, da die Abwehrreaktionen des Körpers unter Azathioprin nur eingeschränkt funktionieren.
Was passiert, wenn man Azathioprin absetzt?
Hierzu liegen derzeit keine aussagekräftigen systematischen Untersuchungen vor.
Welche Alternativen bestehen zu Azathioprin?
Azathioprin ist nur eine von verschiedenen zugelassenen MS-Therapien. Eine Übersicht finden Sie zu Anfang des Kapitels.
Eine weitere Möglichkeit ist auch, keine Immuntherapie durchzuführen. Wenn keine Behandlung mit Azathioprin erfolgt, sollten Therapiealternativen überlegt werden. Ohne Behandlung folgt die Erkrankung dem natürlichen Verlauf. Dabei ist dieser Verlauf ohne Therapie wie auch unter Azathioprin individuell sehr verschieden und schwer vorherzusagen.
Wirken Impfungen unter Azathioprin?
Der Erfolg einer Impfung kann unter Azathioprineinnahme beeinträchtigt sein. Vor Therapiebeginn sollte daher überprüft werden, ob Impfungen aufgefrischt oder erstmals gegeben werden müssen. Unter der Therapie mit Azathioprin darf mit sogenannten Totimpstoffen geimpft werden. Sie beinhalten nicht mehr aktive Erreger oder nur seine Bestandteile. Lebendimpfungen können gefährlich sein, da die Abwehrreaktionen des Körpers unter Azathioprintherapie nur eingeschränkt funktionieren.
Besteht ein erhöhtes Krebsrisiko unter Azathioprin?
300 Patienten aus der größten Azathioprin-Studie bei MS wurden 15 Jahre weiterverfolgt. Hier fand sich keine erhöhte Krebsrate durch eine Azathioprin-Therapie, die drei Jahre lang währte.
Daten aus anderen Behandlungszusammenhängen zeigen, dass ab einer Gesamtdosis von 600g nach ca. 9 bis 10 Jahren Therapie das Krebserkrankungsrisiko erhöht ist. Bezogen auf den Zeitraum von bis zu maximal 10 Jahren Therapie ließ sich keine Erhöhung des Krebsrisikos nachweisen.
Insgesamt ist die Datenlage bei MS sehr unzureichend, sodass auch Krebserkrankungen nach kürzeren Therapiedauern nicht auszuschließen sind.
Azathioprin - Alles auf einen Blick
