Interferon-beta (Betaferon®, Avonex®, Rebif®)

Interferone-beta Präparate sind seit 1995 zugelassen. Alle Präparate müssen gespritzt werden, in den Muskel (intramuskulär, i.m.) oder unter die Haut (subkutan, s.c.). Bei einem Teil der Patienten reduzieren IFNß-Präparate die Schubrate und halten die Zunahme der Behinderung auf. An wichtigen Nebenwirkungen treten grippeähnliche Beschwerden und Reaktionen an den Einstichstellen auf. Zur Überwachung müssen Laborkontrollen gemacht werden. Inteferon-beta-Präparate werden in der Apotheke unter den Namen Avonex®, Betaferon®, Extavia®, Plegridy® und Rebif® vertrieben.

Wirkungen & Nebenwirkungen im grafischen Überblick

Schubfreie Patienten







Patienten ohne Zunahme der Behinderung








Nebenwirkungen




Die Nebenwirkungen der Beta-Interferone werden in den folgenden Kapiteln genauer erläutert.

Eine kurze Erklärung zu den hier genannten Fachbegriffen:
- Lymphopenie: verminderte Anzahl der Immunzellen im Blut
- Leukopenie: verminderte Anzahl der Immunzellen zur viralen Abwehr
- Thrombopenie: vermidnerte Anzahl der Blutplättchen (Aufgabe der Blutgerinnung)
- GPT und GOT: Leberwerte, heute auch als ALT und AST bekannt

Beschreibung der Interferon-Beta-Präparate

Was sind Interferon-Beta-Präparate?

Interferone gehören zu einer Gruppe von Eiweißen, den Zytokinen, die auch bei Menschen vorkommen. Sie werden z.B. bei Virusinfekten, wie bei einer Grippe ausgeschüttet und sind auch für einen Teil der Grippebeschwerden verantwortlich. Mittlerweile werden sie gentechnologisch hergestellt. 




Wie wirken Interferon-Beta-Präparate?

Die Wirkungsweise von Interferon-beta bei Multipler Sklerose ist nicht genau geklärt. Es wird angenommen, dass Interferone feinregulierend auf das Immunsystem wirken. Diese Art der Wirkung wird als Immunmodulation bezeichnet.




Für wen sind Interferon-Beta-Präparate zugelassen?

Zulassung bei Erwachsenen: 
  • Avonex®, Betaferon® und Extavia® können eingesetzt werden bei Patienten nach einem ersten Schub bei Hinweisen auf eine Multiple Sklerose im MRT.
  • Avonex®, Betaferon®, Extavia® und Rebif® können gegeben werden bei Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose, die in den letzten 2-3 Jahren zwei oder mehr Schübe durchgemacht haben.
  • Zusätzlich können Betaferon® und Extavia® eingesetzt werden bei Patienten mit sekundär progredienter Multipler Sklerose, bei der noch Schübe auftreten.
  • Plegridy® wird nur angewendet zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose. 


Zulassung bei Kindern und Jugendlichen:
Eine Zulassung bei Kindern von 2-17 Jahren liegt nur für Rebif® vor. Betaferon® und Extavia® können zwischen 12-17 Jahren gegeben werden, jedoch nicht unter 12 Jahren. Für Avonex® gibt es keine zugelassene Anwendung bei Kindern. Plegridy® soll unter 18 Jahren nicht gegeben werden



Wie werden Interferon-Beta-Präparate verabreicht?

Avonex® wird mit 30 Mikrogramm einmal wöchentlich in den Muskel (Oberschenkel, Oberarm) gespritzt.
Betaferon® und Extavia® werden jeden zweiten Tag mit 250 Mikrogramm unter die Haut (subkutan) gespritzt.
Rebif®, 22 Mikrogramm oder 44 Mikrogramm, wird dreimal wöchentlich subkutan gespitzt.
Plegridy® wird mit 125 Mikrogramm alle 14 Tage subkutan (s.c.) gespritzt. Für alle Interferonpräparate gibt es Injektionshilfen.

 

Wie wirksam sind Interferon-beta-Präparate bei schubförmiger MS?

Im Glossar finden Sie unter "Allgemeines zu Wirkungen und Nebenwirkungen von MS-Medikamenten" eine allgemeine Einführung in die Thematik, welche Ihnen helfen kann, die nachfolgenden Informationen zur Wirkung von Interferon-beta besser zu verstehen.

1. Wirkung auf die Schubfreiheit
Die Grafik am Kapitelanfang zeigt, wie viele Patienten nach 2 Jahren Therapie mit Avonex®, Betaferon® oder Rebif® bzw. Einnahme von Placebos noch schubfrei waren. Daraus kann man den absoluten Nutzen (absolute Risikoreduktion) und den relativen Nutzen (relative Risikoreduktion) berechnen. 

Hier wird die Anzahl der Patienten mit Schüben beschrieben. Um Studienergebnisse mit unterschiedlichen Teilnehmerzahlen besser vergleichen zu können, werden die Ergebnisse bezogen auf 100 Patienten dargestellt:

Der tatsächliche Therapieeffekt zeigt sich, wenn man die Anzahl der Patienten mit Schüben unter Interferon-beta (55) von denen mit Schüben unter Placebo (70) abzieht. Hier profitieren 70 - 55, also 15 von 100 Patienten von der Therapie. 

-      15 von 100 Patienten haben einen Nutzen von der Therapie.
-      55 von 100 Patienten profitieren nicht von der Therapie, da sie trotz der Einnahme von Interferon-beta einen Schub hatten. 
-      30 von 100 Patienten profitieren nicht, da sie auch ohne Interferon-beta schubfrei geblieben sind.


2. Wirkung auf die Anzahl der Schübe pro Jahr
Die jährliche Schubrate zeigt, wie viele Schübe durchschnittlich pro Jahr pro Patient auftraten. Diese Daten liegen für Betaferon® und Rebif® über 2 Jahre Studiendauer vor. Sie lag in der Placebo-Gruppe bei 1,27 und 1,28 Schüben gegenüber 0,84 und 0,86 Schüben in den Interferon-Gruppen. Etwas verständlicher ausgedrückt: Die Patienten in der Placebo-Gruppe haben im Durchschnitt alle 9 Monate einen Schub, die Patienten in der Interferon-Gruppe seltener als einmal im Jahr. 

3. Wirkung auf die Zunahme der Behinderung
Die Zunahme der Behinderung wurde in den unten beschriebenen Zulassungsstudien mit Hilfe des EDSS gemessen, einer Behinderungsskala von 0 bis 10 (wobei 0 keiner Behinderung entspricht). Die Grafik am Kapitelanfang zeigt, wie viele Patienten nach 2 Jahren Therapie mit Betaferon®, Rebif® oder Avonex® oder Einnahme von Placebos keine Zunahme der Behinderung hatten. Dargestellt ist wieder der absolute Nutzen (absolute Risikoreduktion) und der relative Nutzen (relative Risikoreduktion). 

Im Glossar finden Sie Angaben zum Nutzen von Medikamenten bei anderen Erkrankungen. So bekommen Sie einen Eindruck davon, wie groß die Therapieeffekte bei MS im Vergleich zu denen bei anderen Krankheiten sind.

Im Folgenden wird die Entwicklung der Behinderung in zwei Jahren beschrieben, jeweils bezogen auf 100 Patienten:

-      20 von 100 Patienten haben trotz der Interferon-beta-Therapie eine Zunahme der Behinderung
-      71 von 100 Patienten profitieren nicht von der Therapie, sie haben unabhängig von der Therapie keine Zunahme der Behinderung
-      9 von 100 Patienten haben durch die Einnahme von Interferon-beta keine Zunahme der Behinderung

Der tatsächliche Therapieeffekt zeigt sich, wenn man die Anzahl von Patienten mit einer Behinderungszunahme unter Interferon-beta (20) von denen mit Placebo (29) abzieht. Hier profitieren 29 - 20, also 9 von 100 Patienten von der Therapie.

4. Wirkung auf die MRT/das Kernspin in zwei Jahren
In der MRT treten Kontrastmittelanreicherungen und sogenannte T2-Herde auf, die als Ausdruck der Entzündung bei MS betrachtet werden. Dabei können Herde im Erkrankungsverlauf größer werden oder ganz neu auftreten.

Auch wenn in allen 3 großen Zulassungsstudien zusätzlich MRT-Untersuchungen durchgeführt wurden, so liefert keine der Studien Daten zu den Patienten ohne und mit neuen Kontrastmittelanreicherungen bzw. T2-Läsionen. Grundsätzlich zeigen alle Medikamente einen Effekt auf T2-Läsionenen und Kontrastmittelanreicherungen.

Welche Nebenwirkungen haben Interferon-beta-Präparate?

Bei wie vielen Patienten traten Nebenwirkungen auf?

Die Gesamtzahl an Nebenwirkungen wird in den Zulassungsstudien meist nicht berichtet. Je älter die Studien, desto uneinheitlicher die Dokumentation. Deshalb lassen sich die Daten zur schubförmigen MS hier auch nicht zusammenfassen. Zur sekundär chronischen MS lässt sich für 5 Zulassungsstudien mit 3082 Patienten zusammenfassen, dass schwere Nebenwirkungen mit 12% in den Interferon-beta-Gruppen genauso häufig auftraten wie unter Placebo. Therapieabbrüche wegen Nebenwirkungen fanden sich mit 10% signifikant häufiger mit Interferon-beta als mit Placebo (4%). Zur Übersichtlichkeit sind im Folgenden die Nebenwirkungen aus den Zulassungsstudien zur schubförmigen MS zusammengefasst. Diese sind bei den KIS-Studien und bei der sekundär chronischen MS ähnlich. Mögliche Unterschiede werden im Text erwähnt.

Grundsätzlich ist wichtig zu wissen, dass Nebenwirkungen in Studien nicht nur bei den Patienten auftreten, die ein neues Medikament erhalten, sondern auch in der Studiengruppe mit einem bekannten Medikament oder Placebo (siehe "Allgemeines zu Wirkungen und Nebenwirkungen von MS-Medikamenten").


Häufige Nebenwirkungen

In der Tabelle sind Nebenwirkungen aufgeführt, die aus der Cochrane Analyse (Rice 2001[1]) berichtet wurden und bei mindestens 2% der Patienten auftraten. Angegeben ist die Patientenzahl von 100 Patienten.

 

*Bei diesen Nebenwirkungen war der Unterschied zwischen der Interferon-beta- und der Placebo-Gruppe nicht statistisch signifikant.

(Bedingt durch das Runden der Zahlen können kleine Unterschiede (1 von 100) zwischen der Tabelle und der am Kapitelanfang gezeigten Grafik entstehen.)

Reaktionen an der Einstichstelle
Bei der Therapie mit Interferon-beta treten Einstichreaktionen bei subkutaner Gabe mit Betaferon®, Extavia®, Rebif®, Plegridy® sehr häufig auf (zu 50% therapiebedingt). Diese bestehen aus Rötungen und können wochenlang anhalten. Bei intramuskulärerer Gabe werden diese nicht berichtet. Selten kommt es zu schmerzhaften Schwellungen. In manchen Fällen geht das Auftreten von Einstichreaktionen nach und nach zurück. Von offenen Wunden oder auch Nekrosen werden in den Studien bei 2-6% berichtet[100]. Diese heilen wieder ab, bilden dann aber Narben. Durch die Verwendung einer Injektionshilfe kann das Auftreten von Hautreaktionen möglicherweise reduziert werden. Bei langandauernder Interferontherapie können auch ohne Nekrosen Vernarbungen oder Verhärtungen im Unterhautfettgewebe entstehen.

Grippeähnliche Beschwerden (Fieber, Kopfschmerz, Muskelschmerz, Fatigue)
Fast die Hälfte der Patienten (48%), die mit Interferon-beta behandelt wurden, hatte Grippesymptome. Aber auch fast 30% der Placebo-Patienten zeigten solche Symptome. Die Beschwerden setzen meist drei bis acht Stunden nach Medikamentengabe ein und halten bis zu 24 Stunden ein. Dabei können auftreten: Fieber, Schüttelfrost, Muskel- oder Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und Müdigkeit.

Die Beschwerden können im Verlauf der Therapie abklingen, dann aber auch irgendwann wieder erneut auftreten. Bei der Betaferon®-Zulassungsstudie hatten nach einem Jahr noch 8%, bei Rebif® je nach Dosierung 5% bzw. 21% diese Nebenwirkungen. Auch wenn grippe-ähnliche Nebenwirkungen im zweiten Therapiejahr seltener berichtetet werden, so finden sich auch nach 16 Jahren mit Betaferon Therapie bei 1/3 noch berichtete grippeähnliche Beschwerden.

Einige Patienten haben den Eindruck, dass sich die Krankheit unter Einnahme des Interferons verschlechtert, denn bedingt durch die Nebenwirkungen können Müdigkeit und Spastiken verstärkt werden. Um grippeähnliche Nebenwirkungen zu vermindern, kann vier Stunden vor und evtl. erneut vier Stunden nach Medikamentengabe ein entzündungshemmendes Schmerzmittel (z.B. Paracetamol oder Ibuprofen) eingenommen werden. Sinnvollerweise wird das Interferon abends vor der Schlafenszeit gespritzt, um die Nebenwirkungen weitgehend unbemerkt „auszuschlafen“. Um die Nebenwirkungen von Beginn an gering zu halten, sollte einschleichend behandelt werden, das heißt, die Therapie sollte mit der halben oder evtl. sogar einem Viertel der Injektionsdosis begonnen werden.

Eine kontrollierte Studie[101] mit 160 Patienten konnte zeigen, dass Paracetamol und Ibuprofen gleichermaßen diese Nebenwirkung lindern. Eine andere Studie[33] verglich den Nutzen von Aspirin, Ibuprofen und einer vierwöchigen niedrigdosierten Kortison-Therapie bei 84 Patienten. Auch wenn insgesamt grippeähnliche Nebenwirkungen bei allen gleich häufig und gleich schwer auftraten, so zeigte die Gruppe mit Ibuprofen-Therapie am Tag der Injektion weniger Beschwerden. 

Übelkeit und Erbrechen
Übelkeit und Erbrechen treten etwas häufiger unter Interferon-beta auf[1].

Haarausfall
Verstärkter Haarausfall wurde in 2 kleinen Studien mit insgesamt 82 Patienten bei 15 unter Interferon-beta und nur 1 unter Placebo berichtet.

Leukopenie, Lymphopenie, Thrombopenie
Bei 5 von 100 Patienten entwickelt sich durch die Interferon-Therapie eine Reduktion der Anzahl an weißen Blutzellen (sogenannte Leukopenie). In Einzelfällen können diese weißen Blutzellen unter 3.000/Mikroliter fallen (Normalbereich: 3.800-10.500/μl). Nur selten können Verminderungen der Blutplättchen (eine sogenannte Thrombopenie) auftreten. Bislang sind aber noch keine Fälle bekannt, bei denen diese Veränderungen zu ernsthaften Komplikationen geführt haben.

Leberwerterhöhungen
Leberwerterhöhungen und Interferon-Beta sind häufig. GPT(heute ALT, nur in der Leber vorkommend) und GOT(heute AST, neben Leber auch in Herz, roten Blutzellen und Muskel vorhanden) sind Enzyme des Aminosäurestoffwechsels in der Leber. Bei einer Leberzellschädigung werden sie in das Blut freigesetzt und können labortechnisch festgestellt werden.
In einer Übersichtsarbeit wurden zur Leberwerterhöhung Daten von 2819 Patienten unter Interferon-beta-1A ausgewertet. Innerhalb von zwei Jahren entwickelten 67% der Patienten im Blut nachweisbare Leberwerterhöhungen, ohne jedoch dahingehende Beschwerden zu haben. Bei 15-20% sind diese Werte bis zu 5-fach über dem Normalwert gegenüber 5% der Placebo-Patienten. Die Laborwerte normalisierten sich wieder, zum Teil nach vorübergehender Dosisreduktion. Nur bei 4 von 1.000 Patienten wurde die Therapie aufgrund der Leberwerterhöhungen abgebrochen. Dies Risiko scheint im ersten Jahr der Therapie am höchsten. Das Risiko ist erhöht, wenn zusätzlich viel Alkohol getrunken wird, Patienten fettleibig sind oder andere Medikamente genommen werden, die die Leberfunktion beanspruchen. Empfehlungen von Experten gehen dahin, bei Erhöhungen um mehr als das 20-fache des Normalwerts die Therapie vorübergehend auszusetzen. Bislang wurde nur in Einzelfällen von Leberschädigungen unter Beta-Interferon berichtet.

Schwere Nebenwirkungen und Todesfälle
Durch Interferon-beta bedingte schwere Nebenwirkungen und Todesfälle traten in den Studien nicht gehäuft auf. In einer der KIS-Studien[102] kam es in der Interferon-Gruppe zu einem Toten durch einen Autounfall. In den Studien zur schubförmigen MS kam es unter Betaferon zu einem Selbstmord, in der Rebif-Studie zur schubförmigen MS (PRISMS[6]) kam es zu je einem Todesfall unter Placebo und einem unter 22ug Rebif. Bei den SPMS-Studien traten Todesfälle laut einer Metaanalyse[103] etwas häufiger mit Interferon-beta auf. Unter Interferon-beta kam es zu 17 Todesfällen, 4 durch Selbstmord, 3 Lungenembolien, 3 Herzstillstände, 1 Krebserkrankung, eine Blutung im Kopf, 2 Schlaganfälle und eine schwere Harnwegsinfektion; bei zwei Fällen blieb die Ursache unklar. In den Kontrollgruppen kam es insgesamt zu 7 Todesfällen: 2 Selbstmorde, eine Blutung im Kopf, eine Gefäßerkrankung (Arteriosklerose), eine Lungenentzündung, 2 unbekannte Todesursachen. 

In der Fachliteratur sind Einzelfälle schwerer Nebenwirkungen beschrieben, bei denen ein Zusammenhang folgender Beschwerden mit der Interferon-Gabe für wahrscheinlich gehalten wird: Blutarmut, Überaktivität der Schilddrüse, Nierenfunktionsausfall, Verstopfung von kleinen Blutgefäßen, allergischer Schock und epileptische Anfälle. Weiter finden sich vereinzelt Entzündungen im Fettgewebe der Haut und andere Hautveränderungen sowie Leberentzündungen und Muskelschädigungen.

Krebserkrankungen
In den Studien wird nur bei der SPMS eine Krebserkrankung aus einer Interferon-beta-Gruppe beschrieben. Oft fehlt in den Studien jede Aussage zu möglichen Krebserkrankungen. Damit ist eine belastbare Risikoeinschätzung nicht möglich. Es erscheint aber heute, 25 Jahre nach Zulassung der ersten Interferone, mit keinerlei Langzeithinweis auf Krebserkrankungen sehr unwahrscheinlich, dass Interferone Krebserkrankungen hervorrufen.

Infektionen
Infekte traten bei der Therapie mit Interferonen nicht gehäuft auf. Auch die Langzeitstudien sprechen nicht dafür.

Welche neuen Nebenwirkungen wurden nach Abschluss der Zulassungsstudien berichtet?
Einzelfälle von akutem Leberversagen sowie von einer akuten Nierenerkrankung mit Eiweißverlust sind im Verlauf nach Zulassung der Interferon-beta-Präparate beschrieben worden. Weitere besondere Nebenwirkungen sind 25 Jahre nach der ersten Interferon-Zulassung nicht berichtet worden.

Worauf muss bei der Therapie mit Interferon-beta geachtet werden?

Worauf ist bei Therapiebeginn zu achten?
Weil Interferon-beta-Präparate das Immunsystem verändern, sollten vor Therapiebeginn alle Standardimpfungen durchgeführt werden, die die STIKO (Ständige Impfkommission) für Menschen empfiehlt, deren Immunsystem teilweise blockiert werden soll.

Bei Patienten, die bereits eine Therapie erhalten haben, die das Immunsystem beeinflusst oder hemmt, müssen Sicherheitsabstände (siehe weiter unten) eingehalten werden. Diese richten sich nach der Wirkdauer der Medikamente. Eine Kurzzeitbehandlung mit Kortikosteroiden (Kortison), z.B. zur Schubtherapie, ist auch während der Behandlung möglich.

Unter welchen Umständen sollten Interferone nicht verabreicht werden?
Laut Empfehlungen des Kompetenznetzes MS (KKNMS) sollten Interferon-beta-Präparate nicht eingenommen werden bei:
  • Überempfindlichkeit gegen die Substanz oder einen der sonstigen Bestandteile
  • Therapiebeginn in der Schwangerschaft
  • Schwere akuter Depression oder Suizidalität. 
Welche Sicherheitsabstände müssen eingehalten werden?
Bei Patienten, die bereits eine Therapie erhalten haben, die das Immunsystem beeinflusst oder hemmt, müssen vor einer Umstellung auf Interferone bestimmte Sicherheitsabstände eingehalten werden. Diese richten sich nach der Wirkdauer der Medikamente. Die Wartezeit beträgt nach der Behandlung mit... 
  • Fingolimod und Teriflunomid (nach Auswaschung!) mindestens vier Wochen.
  • Natalizumab und Daclizumab mindestens sechs bis acht Wochen.
  • Azathioprin, Ciclosporin A, Cyclophosphamid, Methotrexat und Mitoxantron mindestens drei Monate.
  • Cladribin mindestens 6 Monate.
  • Alemtuzumab, Ocrelizumab und Rituximab mindestens 6 – 12 Monate.
Bei der vorherigen Verwendung von Interferonen müssen, sofern sich etwaige Blutbildveränderungen normalisiert haben, keine Sicherheitsabstände eingehalten werden. 

Was muss bei der Therapie kontrolliert werden?
Das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) empfiehlt:

GRAPHIK folgt

Interferon-beta - Häufig gestellte Fragen

Welches Interferon wirkt am besten?
Bislang liegen vier direkte Vergleichsstudien vor, die aber methodische Mängel hatten und zumeist nur zwei Substanzen miteinander verglichen. Eine nicht systematische Übersicht kommt zu dem Ergebnis, dass es einige Hinweise für eine Überlegenheit höher dosierter Interferon-beta Präparate auf die Reduktion der Schubrate gibt (Freedman 2009). Ein eindeutiger Beleg fehlt jedoch. Intramuskuläre Präparate führen zu weniger Hautreaktionen. Die seltenere Gabe führte zu selteneren Hautreaktionen und grippeähnlichen Beschwerden. Möglicherweise ist jedoch die Intensität der Beschwerden stärker.

Wie lange wird behandelt?
Eine Interferon-Therapie wird als Dauertherapie eingesetzt. Nutzen und Risiko der Einnahme müssen laufend überprüft werden. Ein Abschätzen des Nutzens ist oft frühestens nach einem Jahr möglich. Als Hinweise für eine Wirksamkeit werden allgemeine Schubfreiheit und das Fehlen neuer Herde in der MRT angesehen. Deshalb empfiehlt das KKNMS eine Ausgangs-MRT und eine MRT nach 6, 12 und 24 Monaten, um Nutzen und auch mögliche Risiken abzuschätzen.
Auf die Kontrastmittelgabe bei einer MRT sollte verzichtet werden, wenn es keinen klinischen Anhaltspunkt für einen Krankheitsprogress gibt und ein standardisiertes Ausgangs-MRT vorliegt.

Schwangerschaft und Stillzeit
Die Interferon-beta Präparate Betaferon® und Rebif® sind seit 2019 in Schwangerschaft und Stillzeit zugelassen. Die in Tierversuchen nachgewiesene erhöhte Fehlgeburtsrate konnte in Fallsammlungen von Patienten, die während der Einnahme eines Interferon-beta Präparates schwanger wurden, nicht bestätigt werden.

Eine Übersicht berichtet von 761 Schwangerschaften, die unter einer Interferon-beta Therapie auftraten ("Disease-modifying drugs for multiple sclerosis in pregnancy: a systematic review"[35]). Hier fanden sich zwar ein erniedrigtes Geburtsgewicht und geringere Größe sowie eine erhöhte Frühgeburtlichkeit, jedoch nicht mehr Aborte oder Missbildungen als bei Schwangerschaften ohne Interferon-Exposition. Insgesamt scheint das Risiko für Schäden eines Embryos sehr gering zu sein. Eine neuere Übersicht ("Pregnancy outcomes in interferon‐beta‐exposed patients with multiple sclerosis: results from the European Interferon‐beta Pregnancy Registry"[96]) konnte bei 945 Schwangerschaften unter Interferon-beta keine Missbildungen oder Frühgeburten zeigen. 

Impfungen
Auch unter einer Therapie mit Interferon-beta sollten alle Standardimpfungen regelmäßig überprüft und ggf. aufgefrischt werden. Die Ständige Impfkommission, kurz STIKO, entwickelt Impfempfehlungen für Deutschland, die als medizinischer Standard gelten. Laut der STIKO sind die Standardimpfungen: Tetanus, Diphtherie, Pertussis (Keuchhusten), Hepatitis B, Masern, Mumps, Röteln.

Für alle MS-Patienten ist eine Grippeimpfung sinnvoll. Pneumokokken und Windpocken (Varizella-Zoster-Virus) sind für eine Interferontherapie nicht erforderlich. Mit Blick auf mögliche Therapieeskalationen kann aber auch hier früh eine Impfung erwogen werden.

Bisher gibt es einige Hinweise, dass Impferfolge unter Interferon-Therapie etwas abgeschwächt sind. Einige wenige Daten sprechen dafür, dass Standardimpfungen unter Interferonen wirksam bleiben.

Interferone
Grundsätzlich müssen Interferone beim Auftreten üblicher Infekte nicht abgesetzt werden. 

Welche Bedeutung haben sogenannte neutralisierende Antikörper?
Interferone rufen im Körper die Bildung von Antikörpern hervor, da sie nicht genau dem körpereigenen Interferon entsprechen. Antikörper können mit verschiedenen Methoden gemessen werden. Diese Antikörper können möglicherweise die Wirkung des Interferons abschwächen oder ganz verhindern.

Die Antikörper entstehen meistens innerhalb der ersten 12 Monate nach Therapiebeginn. Die Häufigkeit unterscheidet sich bei den Präparaten: Betaferon/Extavia mehr als Rebif, mehr als Avonex, mehr als Plegridy. Ein systematisches Review ("Development of interferon beta-neutralising antibodies in multiple sclerosis"[97]) kommt zu folgenden Raten: 2-19% bei Avonex, 16-35% bei Rebif und 27-53% bei Betaferon. Für Plegridy wurden bislang nur sehr niedrige Raten unter 1% beschrieben. Wichtig ist, dass sowohl die Höhe der Antikörperwerte als auch das länger bestehende Vorliegen hoher Werte eine maßgebliche Rolle für den neutralisierenden Effekt zu spielen scheinen: hohe Werte (hochtitrige), die bleiben.

Eine grundsätzliche Testung nach frühestens vier bis sechs Monaten kann erwogen werden. Da neutralisierende Antikörper kreuzreaktiv sind, ist ein Wechsel von einem Interferon-beta-Präparat auf ein anderes bei Therapieversagen durch die Antikörper-Bildung vermutlich nicht sinnvoll. 

Machen Interferone depressiv?
Bei 35-55% aller MS-Patienten treten irgendwann depressive Verstimmungen auf. Ein systematisches Review (Alba Palé L 2017[98]) kommt zu dem Ergebnis, dass nur bei Patienten mit vorbekannter Depression eine Interferon-beta-Therapie zur Depressionsverstärkung führen kann. 

Welche Alternativen bestehen zu Interferon-beta-Präparaten?
Interferon-beta ist nur eine von verschiedenen zugelassenen MS-Therapien. Eine Übersicht finden Sie auf der Hauptseite. Eine weitere Möglichkeit ist auch, (noch) keine Immuntherapie durchzuführen. 

Ohne Therapie folgt die MS dem natürlichen Verlauf. Wie dieser aussieht, kann man aus den Daten der Placebo-Gruppe in der Zulassungsstudie abschätzen: Über 2 Jahre blieben in der Placebo-Gruppe 70 von 100 Patienten schubfrei und 70 von 100 ohne Zunahme der Behinderung.

Wirken Interferone besser oder schlechter als andere MS-Medikamente?
Die Wirksamkeit von Beta-Interferonen im Vergleich mit Glatirameracetat wurde in 6 Vergleichsstudien analysiert. Eine Metanalyse von 5 dieser Arbeiten (Mantia and Pietrantonj 2014[99]) kommt zu dem Ergebnis, dass die Wirkung sehr vergleichbar ist. 

Interferon-beta Präparate haben in mehreren Studien Gleichwertigkeit zu Copaxone® gezeigt. Belastbare Vergleiche mit Teriflunomid und Dimethylfumarat fehlen.

Wann sollte eine Interferon-beta-Therapie abgesetzt werden?
Für die Interferone gibt es einige Daten zur Vorhersage, ob die Therapie wirkt oder nicht. Das Kernspin (MRT) ist dafür möglicherweise hilfreich.
Entwickeln Patienten unter der Therapie mit Interferon-beta eine nicht-aktive sekundär progrediente MS, sollte diese Therapie nicht fortgesetzt werden.

Interferon-beta - Alles auf einen Blick

Als Abschluss des Kapitels finden Sie hier kurz und knapp Informationen zu den Beta-Interferonen.

In der Faktenbox sehen Sie übersichtlich den Nutzen und die Nebenwirkungen einer Therapie mit Interferon-Beta im Vergleich zu der Einnahme eines Placebos.







In der nachfolgenden Grafik sehen Sie Fakten zu den Interferonpräparaten Avonex, Rebif, Plegridy, Betaferon und Extavia auf einen Blick.
 

 

1 Die Halbwertszeit (oft abgekürzt als HWZ) gibt an, wie viel Zeit ein Medikament im Körper benötigt, um auf die Hälfte seiner Ausgangsdosis abzusinken.

2 Obwohl sich die verschiedenen Interferon-Präparate sehr ähneln, zum Beispiel in ihrem Wirkmechanismus sowie ihren Nebenwirkungen, sind nicht alle Präparate bei jeder Verlaufsform der Multiplen Sklerose zugelassen. Die Zeile „Zulassung bei Verlaufsform“ zeigt deshalb an, welches Interferon bei welcher MS-Form zugelassen ist: Wird eine Verlaufsform in einer Spalte genannt, kann das jeweilige Präparat zur Therapie dieser Verlaufsform verwendet werden. Dabei bedeutet…

  • KIS = klinisch isoliertes Syndrom
  • RRMS = schubförmig-remittierende MS (“relapsing remitting multiple sclerosis “)
  • SPMS = sekundär progrediente MS

Welche Zulassungsstudien wurden für Interferone durchgeführt?

Die Wirkung von Interferon-beta auf die Schubrate und die Zunahme der Behinderung wurde in 3 großen Zulassungsstudien (IFNß MS Study Group 1993[4], MSCRG 1996[2] und PRISMS 1998[6]) geprüft. Insgesamt wurden 919 Patienten mit schubförmiger MS über einen Zeitraum von 2 Jahren untersucht. Eingeschlossen wurden Patienten, die in den 2 Jahren vor Studienbeginn mindestens 2 Schübe gehabt hatten. In einer Metaanalyse der Cochrane Collaboration (Rice 2001[1]) wurden die Ergebnisse zusammengefasst.

Plegridy® wurde später entwickelt und zeigte ebenfalls Wirksamkeit über eine einjährige Placebo-kontrollierte Studie: In der „ADVANCE“-Studie[37] (Calabresi et al., Lancet Neurology 2014) wurde die Wirkung von Plegridy® (Peginterferon beta-1a) bei schubförmiger MS untersucht. Dazu wurden 1512 Patienten in drei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe erhielt 125mg Peginterferon beta-1a s.c. alle 2 Wochen, eine Gruppe erhielt die gleiche Dosis alle 4 Wochen und die dritte Gruppe bekam ein Placebo. Nach einem Jahr wurde gezeigt, dass die Behandlung im 2-Wochen-Rhythmus mit Peginterferon beta-1a einen signifikanten Effekt sowohl auf die Schubrate als auch auf die Zunahme der Behinderung hat. Zudem wurden eine signifikante Reduktion der T2-Herde und eine geringere Anzahl und Größe von kontrastmittelaufnehmenden Herden festgestellt.


Langzeituntersuchungen
Langzeitdaten richtig zu beurteilen, ist sehr schwierig. Oft werden bis zu 50% der Studienteilnehmer nicht mehr erreicht. Unklar ist, welche Therapien sonst noch erfolgten. Ohne Kontrollgruppe ist eine Bewertung sehr schwierig. Für Betaferon® gibt es die längsten Verlaufsdaten. Hier zeigte sich nach 16 Jahren kein Unterschied in der Anzahl an Patienten, die EDSS 6 erreichen oder der Anzahl an Patienten, die eine sekundäre Progression entwickeln. Nach 21 Jahren gibt es nur veröffentlichte Sterblichkeitsdaten, keine Beeinträchtigungsdaten. Bei Rebif® zeigen sich nach 4 Jahren weniger Progressionen unter dem Medikament, aber nicht mehr nach 8 Jahren. Nach 15 Jahren werden keine Daten getrennt nach Behandlungsgruppen der Originalstudie mehr berichtet. Das Gleiche gilt für die 15-Jahresdaten zu Avonex®