Welche Beschwerden können bei Multipler Sklerose auftreten?

Multiple Sklerose kann im Laufe der Erkrankung typische neurologische Beschwerden verursachen. Da die entzündlichen oder die degenerativen Veränderungen an individuell völlig unterschiedlichen Stellen im zentralen Nervensystem auftreten und auch wieder abklingen können, variiert die Beschwerdesymptomatik sowohl von Patient zu Patient als auch im zeitlichen Verlauf einer Erkrankung. Dabei gibt es zwar Symptome, die bei MS häufiger auftreten als andere, aber es gibt kein Beschwerdebild, das ausschließlich der MS zuzuordnen ist. Im Einzelfall kann es schwer sein, bestimmte Beschwerden eindeutig der Multiplen Sklerose zuzuschreiben.

Die folgende Grafik zeigt, welche Symptome ausgelöst werden können, wenn bestimmte Regionen im Gehirn (sogenannte Hirnareale) betroffen sind.

 

 

Zwar gibt es Symptome, die bei MS häufiger auftreten als andere, aber es gibt kein Beschwerdebild, das ausschließlich der MS zuzuordnen ist. Im Einzelfall kann es schwer sein, bestimmte Beschwerden eindeutig der Multiplen Sklerose zuzuschreiben.

Das Deutsche MS-Register erfasst seit dem Jahr 2001 die Krankheitsverläufe und Therapien von MS-Patienten, die in speziellen MS-Zentren betreut werden. Die so erfassten Patienten sind sicher nicht repräsentativ für die Gesamtheit aller MS-Patienten, sondern stellen eher eine Auswahl mit aktiverer Krankheit dar, aber es finden sich hier zumindest aktuelle Angaben zur Häufigkeitsverteilung von MS-Beschwerden. Die Auswertung der Daten des MS-Registers von 2008 hat folgende Symptomverteilungen ergeben: Zu Krankheitsbeginn treten vor allem Mißempfindungen und Taubheit, Schwächen bzw. Lähmungen, Sehstörungen und Gleichgewichtsstörungen auf. Nach mehreren Krankheitsjahren stehen Fatigue, Spastik, Blasenentleerungsstörungen und Koordinationsstörungen im Vordergrund.

Das Erleben von MS-Betroffenen ist durch die Einteilung des Krankheitsverlaufes in die Untergruppen "schubförmig-remittierend", "primär progredient" oder "sekundär progredient" nur unzureichend erfasst. Auch in stabilen Krankheitsphasen erleben Betroffene, dass Beschwerden sich kurzzeitig verschlechtern können, oder auch eigentlich völlig zurückgebildete Beschwerden vorübergehend wieder auftreten. Solche Veränderungen treten häufig in stressigen Lebensphasen, beim Sport oder höherer Körpertemperatur auf, aber auch ohne ersichtlichen Grund. Auch wenn diese Phänomene keine bleibenden Schäden hinterlassen und oft therapeutisch keine Konsequenzen nach sich ziehen, erschweren sie den Alltag. Besonders zu Beginn der MS-Erkrankung, wenn man noch kein Gefühl für die individuelle Erkrankung gewonnen hat, können sie zusätzlich erhebliche Ängste verursachen, weil die Abgrenzung zu neuer MS-Aktivität schwierig ist. Im weiteren Verlauf einer schubförmigen MS-Erkrankung entstehen Unsicherheiten durch die Schwierigkeit, Symptomschwankungen vom Beginn eines sekundär progredienten Verlaufs zu unterscheiden.

Die folgenden medizinischen Erläuterungen beruhen auf neurologischem Lehrbuch und Patientenratgeberwissen. Wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Beschwerdeerleben liegen nur sehr begrenzt vor.

Seltene und untypische Beschwerden

Eine Reihe von neurologischen Symptomen kommt bei Multipler Sklerose sehr selten vor. Wenn ein bisher gesunder Patient solche Symptome zeigt, dann wird normalerweise erst sehr spät an MS gedacht und Betroffene und Behandler tappen lange Zeit im Dunkeln. Mit der Verfügbarkeit der Kernspintomographie ist es für diese Betroffenen einfacher geworden, die richtige Diagnose zu stellen. Dennoch muss man davor warnen, bei untypischen Symptomen immer an MS zu denken. Auch für bereits diagnostizierte MS-Patienten gilt, dass man vermeiden muss, jedes neurologische Symptom automatisch auf MS zurück zu führen, denn natürlich können auch MS-Patienten zusätzlich jede andere Erkrankung bekommen.

Solche seltenen MS-Symptome könnten z.B. sein:

  • Hörstörung
  • Geruchsstörung
  • Fazialisparese (=Lähmung der Gesichtsmuskulatur)
  • Aphasische Störungen (=ausgeprägte Wortfindungsstörung)
  • Krampfanfälle
  • Psychosen

Wie fühlen sich Schübe an?

Schübe werden gewöhnlich aus der Perspektive von Ärzten beschrieben, die Entscheidungen über Ursache und Behandlung einer neurologischen Symptomatik zu treffen haben, oder aus der Perspektive von Wissenschaftlern, die Studien zur Wirksamkeit von Therapien durchführen. Als Schub wird jede neue oder verstärkte Beschwerde betrachtet, die mindestens 24 Stunden anhält. Ein Infekt muß ausgeschlossen sein. Diese Schubdefinition enthält keine Informationen, wie Betroffene einen Schub subjektiv erleben. Das kann, wie bei MS nicht anders zu erwarten, sehr variieren.

Beginn

Betroffene wachen gewöhnlich morgens mit einer neuen neurologischen Symptomatik auf bzw. erleben die plötzliche Wiederkehr eines früheren Symptoms. Wenn man das Symptom schon kannte, ist das Erkennen als mögliches MS-Symptom einfacher, aber die Unterscheidung von üblichen Schwankungen der MS-Symptomatik kann schwierig sein. Sind die Beschwerden bisher unbekannt gewesen, muss man erst einmal herausfinden, ob es sich überhaupt um MS-Beschwerden handelt, oder ob nicht eine andere Erkrankung dahinter steckt. Viele Betroffene verspüren schubbegleitend auch vermehrte Fatigue-Symptome. Manchmal entwickeln sich Schübe aber auch über Tage und Wochen, selten über Monate.

Im Schub

Schubsymptome nehmen meist in den ersten Tagen an Intensität zu und verharren dann auf einem bestimmten Niveau.

Abklingen des Schubes

Die Rückbildungsphase eines Schubes kann ein monate- oder manchmal sogar jahrelanger Prozess sein, der nicht kontinuierlich verlaufen muss, sondern immer wieder Schwankungen unterliegt, die durch Wärme, Stress oder Infekte verstärkt werden können.

Indirekte Krankheitsfolgen

Multiple Sklerose kann im Laufe der Zeit zu einer Vielzahl an körperlichen und psychosozialen Erscheinungen führen, die nicht direkt zum Krankheitsbild gehören, sondern indirekte Folgen der Symptome, der Krankheitsverarbeitung, der Therapie und der Einwirkung des gesellschaftlichen Umfeldes sind. Sie sind in ihrem Ausmaß und der Bedeutung für die Lebensqualität von Betroffenen nicht annähernd gut genug untersucht. Deshalb erfolgt auch an dieser Stelle lediglich eine stichwortartige Aufzählung.

Körperliche Folgen der MS-Symptome

  • Fehlhaltungen
  • einseitige Gelenkabnutzungen
  • Verspannungen
  • Kopfschmerzen
  • Sturzneigung
  • Verletzungen
  • Verlust von Kraft,Koordination und Ausdauer durch körperliche Vermeidungsstrategien
  • Gewichtszunahme durch Inaktivität

Therapiefolgen

  • Verlust an Lebensqualität durch ungenügende Verträglichkeit einer Dauertherapie
  • Krankheit oder Behinderungen durch schwere Therapienebenwirkungen
  • Therapiekomplikationen von Medikamenten, die zur Beherrschung der Nebenwirkungen von MS-Medikamenten eingenommen werden müssen

Psychosoziale Folgen der Multiplen Sklerose

  • Scham
  • sozialer Rückzug
  • Angststörung
  • Ãœberforderung
  • Depression
  • Fehlende Barrierefreiheit und
  • Gesellschaftliches Unverständnis gegenüber der eingeschränkten Leistungsfähigkeit wegen Fatigue, Depression oder kognitiven Störungen, da diese Behinderungen von außen nicht erkennbar sind
  • „Infantilisierung“ und Bevormundung von MS-Erkrankten, Absprechen der Fähigkeit, für sich selbst Entscheidungen treffen zu können

Einzelnachweise

[1] http://www.dmsg.de/msregister/publikationen/poster_2008_ms-register_in_deutschland_2008_%E2%80%93_symptomatik_der_ms.pdf (accessed 15.12.2013)

[3] Heckl, Reiner W.: Multiple Sklerose, Georg Thieme Verlag Stuttgart, New York 1994.

[4] Henze, Thomas: Der große Patientenratgeber Multiple Sklerose, Symptome besser erkennen und behandeln, 3. Auflage, W. Zuckschwerdt Verlag, Germering/München 2013.

[5] http://www.dmsg.de/wunschwand/ (aufgerufen 31.08.2014)